Nach dem Erdbeben: Soziale Rebellion im Kaschmir

German version of Insurrection in Kashmir (April 18, 2006)
40.000 Menschen demonstrierten am 13. April in ganz Kaschmir. Eine aufgebrachte Menschenmenge überrollte die zerstörte Hauptstadt Muzaferabad. Der Protest richtete sich gegen das Musharraf Regime und dessen Erdbebenkatastrophenplan (ERA, Earthquake Rehabilitation Agency). Die Demonstrationen wurden von der United People´s Front (UPF) auf Initiative der Marxisten in Kaschmir organisiert.

Der Ärger der Demonstranten ist leicht verständlich, verschlimmert sich doch jeden Tag die Situation in den Katastrophengebieten. Die staatlichen Programme sind ineffizient und es fehlt überall an Unterstützung für den Wiederaufbau. Bereits im Oktober und im März gab es Proteste gegen die ERA. Die Agenda sieht vor, dass jede Familie RS 25.000 ($416) zum Wiederaufbau ihrer Häuser bekommt. Dies wird als blanker Zynismus des Regimes gewertet, da die wirklichen Kosten mindestens $8000 betragen würden.

Die nächste staatliche Verteilaktion leerte zusätzlich Salz in die Wunden der Opfer. Zuvor schon wurde berichtet, dass in der ersten Hilfswelle 40% der Leute leer ausgingen. Nun wurden wieder nahezu dieselben 40% übersehen. 40% die keine materielle und/oder finanzielle Unterstützung erhielten! Dies war der Tropfen, der das Faß zum Überlaufen brachte.

Die Proteste im März wurden von der Jammu Kashmir Revolutionary Youth Alliance (JKRYA) organisiert. Die JKRYA ist ein Zusammenschluß mehrerer Jugendorganisationen, die von Marxisten ins Leben gerufen worden ist. Auf einem Treffen am 1. April wurde auf deren Initiative von VertreterInnen aus den zerstörten Regionen die United People´s Front (UPF) gegründet, um die Proteste gegen die ERA zu bündeln. Eine Schlüsselrolle dabei spielte der Genosse Shujat Kazmi, der ehemalige Vorsitzende der Jammu Kashmir National Students’ Federation (JKNSF). Er wurde einstimmig zum Koordinator der UPF gewählt.

Sofort begann die UPF mit ihrer Arbeit. Mehrere lokale Streiks und Demonstrationen wurden organisiert und der 13. April als regionaler Aktionstag beschlossen.

Der neugewählte UPF Vorsitzende reiste in die angrenzenden Dörfer der zerstörten Hauptstadt, um die Kampffront auszuweiten. Broschüren wurden publiziert, massenhaft Flugblätter verteilt. Und so fand am 13. April eine unglaubliche Massenbewegung statt.

Unglaublich deshalb, weil keine der traditionellen Parteien an der Mobilisierung beteiligt war. Nur die jungen Marxisten mit ihren begrenzten Ressourcen und unermüdlichen Einsatz machten den Protest zu einem Riesenerfolg. Über 10 Dörfer und 12 Großstädte nahmen an dem Generalstreik teil! Sogar die bürgerliche Presse musste auf die 4000 Menschen, die sie zuvor kriminalisiert hatte, reagieren und forderte ebenfalls, dass der Wiederaufbau unter der Kontrolle der Betroffen durchgeführt werden muss!

Die größte Demonstration wurde von den Genossen Shujat Kazmi und Adil Khan angeführt. Die Luft war erfüllt vom revolutionären Geist der Bewegung. Die Hauptslogans der ArbeiterInnen und Jugendlichen waren: „ Kein Kampf zwischen Nationen oder Religionen, sondern Klassenkampf, Klassenkampf! Ein Wunsch, eine Lösung: Klassenkampf, Klassenkampf! Nieder mit dem kapitalistischen System, nieder mit der herrschenden Klasse“

Überall gab es Straßenblockaden und geschlossene Streikaktionen. In Garhi Dopatta entwickelte sich die Bewegung fast zu einem Volksaufstand. Die Sprecher Shujat und Adli forderten die Beendigung der ERA und den Stopp von Mietzahlungen und Strom- Wasser- und Gasrechnungen. Sie forderten freien Bildungszugang, ein kostenloses Gesundheitssystem und die Streichung aller Schulden der Arbeitnehmer im öffentlichen Bereich. Ebenso riefen sie zum Generalstreik für den 22. April auf, um die Charta der 30 Forderungen durchzusetzen! (ein weitreichender Forderungskatalog der PTUDC für die Unterstützung der Erdbebenopfer)

Die Deadline für die Regierung zur Umsetzung des Forderungskatalogs wurde auf den 1. Mai angesetzt. Bei einer Demonstration in Muzafferabad mit über 500 Menschen kam es zu brutalen Zusammenstößen mit der Armee. 11 Genossen, unter ihnen die Führung der JKRYA und Rashid Sha, der regionale Koordinator der UPF, wurden verhaftet. Erst nach massiven internationalen und nationalen Protestaktionen wurden sie wieder frei gelassen.

Die Attacke des Staates auf die bekanntesten Aktivisten zeigt einerseits dessen Angst vor der Bewegung und entblößt andererseits klar die Entschlossenheit der Bürgerlichen, mit aller Gewalt dagegen vorzugehen. Nachdem die Leute erkannt haben, dass das Regime keine Lösungen zur Beseitigung ihres Elends hat, griffen sie zu ihren Methoden – die der Massenaktionen. Und ebenso greift der Staat auf seine traditionellen Methoden zurück – Gewalt, Verhaftungen und Folter.

Genosse Shujat Kazmi griff bei seiner Rede genau deshalb das Regime an und bekam sogleich die Bestätigung für die Richtigkeit seiner Analysen. Die Verhaftung der JKRYA- Führung zeigt auch die immense Rolle der Organisation in der Bewegung. Die Marxisten in Kaschmir sind aber nicht nur die Anführer. Ihre revolutionäre Arbeit, verbunden mit der richtigen Perspektive und Taktik, hat die Mehrheit der Menschen überzeugt, dass die Ideen des Marxismus die Antwort und die Lösung für ihre Probleme sind. Die Notwendigkeit für eine revolutionäre Organisation wurde durch den praktischen Kampf unter Beweis gestellt. Der 22. April wird ein entscheidendes Datum für die Menschen im Kaschmir sein. Für ihren Sieg brauchen sie die Unterstützung der internationalen Arbeiterbewegung. Hoch die internationale Solidarität!