Polizei stoppt Blockupy-Demo – was nun?

Dass ein massiver Polizeieinsatz mit vielen tausend Beamten der Bereitschaftspolizei am vergangenen Samstag die Frankfurter Blockupy-Demonstration abrupt beendete, hat viele überrascht, die in der Erwartung einer bunten und friedlichen Demo nach Frankfurt gekommen waren. Stattdessen erlebten sie uniformierte Eindringlinge in Polizeiuniform, die auch Pfefferspray einsetzten und einen Teil der Demonstration viele Stunden lang einkesselten und dann einzeln abführten und erkennungsdienstlich behandelten. So gelang es der Staatsgewalt, Bilder und das Signal einer bundesdeutschen Protestbewegung vom Willy-Brandt.Platz vor der Europäischen Zentralbank (EZB) im Frankfurter Bankenviertel in alle Welt zu verhindern.

Rund um den mit Stacheldraht und Gittern abgesperrten Sitz der EZB herrschte faktisch Ausnahmezustand. Auf den für die Öffentlichkeit abgesperrten Zufahrtsstraßen stauten sich Einsatz- und Mannschaftswagen der Polizei und etliche Wasserwerfer. Der Ermittlungsausschusses Frankfurt spricht von rund 200 durch Polizeigewalt verletzten Demonstranten worden, wobei die meisten von ihnen massiv Pfefferspray ins Gesicht bekamen. Manche wurden von Polizisten brutal geschlagen und misshandelt. Mehr als 1000 Menschen wurden bis zu neun Stunden im Kessel festgehalten, darunter auch Anwälte, die so an der Mandatsausübung gehindert wurden. Auch Parlamentarier der LINKEN aus Hessen und dem Bund, die sich demonstrativ mit erhobenen Armen vor den Kessel stellten, wurden einzeln von der Polizei abgeführt. Ein Attac-Aktivist, der eine Ordnerbinde trug und als einer der ersten abgeführt wurde, bekam nach eigenen Angaben von der Polizei Platzverweis für die gesamte Innenstadt.

Nicht ohne Grund vermuten viele AktivistInnen im Blockupy-Bündnis, dass Hessens Innenminister Boris Rhein (CDU) und die Polizeispitze diesen Großeinsatz von langer Hand vorbereitet hatten. Dafür spricht schon der Schauplatz des Geschehens: eine am Wochenende wenig belebte Straße mit Bürohochhäusern, in der niemand wohnt und zu diesem Zeitpunkt arbeitet, einkaufen oder essen geht. Es war der für eine solche Polizeiaktion am besten geeignete Ort entlang der Demoroute, die das Verwaltungsgericht wenige Tage vor der Demo sehr zum Verdruss von Rhein und Frankfurts Ordnungsdezenent Markus Frank (CDU) genehmigt hatte. Während beim Auftakt der Demo am Basler Platz und entlang der restlichen, kilometerlangen Route durch die Innenstadt so gut wie kein Uniformierter anzutreffen war, stauten sich die Einsatzfahrzeuge und auf den Befehl wartenden Polizeieinheiten „erwartungsvoll“ rund um diesen Schauplatz.

Für die Annahme, dass alles kein Zufall war, spricht auch das politische Umfeld. In dreieinhalb Monaten sind Bundestags- und Landtagswahlen. Vor allem in Hessen muss die CDU befürchten, dass sie die Regierungsmacht verliert. Es lag und liegt in ihrem Interesse, dass sie in diesen Wochen krampfhaft einen Vorwand sucht, um sich als die Partei darzustellen, die „Recht und Ordnung“ durchsetzt. Der neue Frankfurter Oberbürgermeister Peter Feldmann, der vor einem Jahr in der Stichwahl den „Favoriten“ Boris Rhein schlug, hatte noch vor wenigen Tagen erklärt, Frankfurt sei „für gewaltfreie und friedliche Diskussionen der richtige Ort“. CDU und FDP kritisierten Feldmann dafür heftig. Meldungen über „gewalttätige Ausschreitungen“ passten ihnen daher in das Weltbild. Die CDU/FDP-Regierungen im Bund und in Hessen haben kein Interesse daran, dass Bilder von friedlichen und disziplinierten Protesten vor der Europäischen Zentralbank durch Europa und um die Welt gehen. Sie wollen dem „Rest der Welt“ demonstrieren, dass sie das eigene Land im Griff haben und dass Deutschland zur Troika-Politik steht.

Anders als bei einer von Gruppen aus der anarchistischen Szene organisierten M31-Demonstration in Frankfurt im März 2012, bei der Demonstranten und/oder eingeschleuste Provokateure und Agenten der Staatsgewalt aus der Demo heraus mit Pflastersteinen Fensterscheiben demolierten, ging an diesem Samstag keine einzige Scheibe zu Bruch. Umso absurder klingen die Rechtfertigungsversuche der Polizeispitze. "Ich bin mir absolut sicher, dass es zu Ausschreitungen gekommen wäre“, rechtfertigte Polizei-Einsatzleiter Harald Schneider am Montag bei einer Pressekonferenz das brutale Vorgehen unter seinem Kommando. Das Abbrennen von drei bengalischen Feuern und ein Böllerschuss in der Demo – so etwas kennen wir auch von Fußballfans – bildeten den unmittelbaren Vorwand für die Einkesselung. Der „schwarze Block“, Hauptzielscheibe der Polizeiübergriffe, sei „vermummt und bewaffnet“ gewesen, heißt es. Dabei bestand diese "Vermummung" vor allem aus Sonnenbrillen und Regenschirmen. Als „passive Bewaffnung“ sicherten die Polizeikräfte in erster Linie Styroporplatten mit aufgemalten Parolen.

Auch den allermeisten Medienvertretern, die die Polizeimaßnahmen über Stunden verfolgten, erschien das Vorgehen des Staatsgewalt nicht nachvollziehbar. Viele erhoben in einer Pressekonferenz mit Rhein am Montag Vorwürfe gegen die Polizei, sprachen von einer "Schande für Frankfurt", "Gewaltorgie" und "brutalen Szenen". „Man muss den Innenminister offenbar erinnern, dass das Demonstrationsrecht ein hohes Gut ist“, schreibt eine FAZ-Kommentatorin. „Meinem Kameramann wurde ein Bein gestellt, der Polizist hat ihm gesagt: 'Verpiss Dich'“, so ein RTL-Journalist. „Warum wurden meine Personalien aufgenommen?“, fragte ein FAZ-Reporter Minister Rhein bei der Pressekonferenz am Montag. „Der Kessel war geplant“, zitierte die „Bild“-Zeitung Aussagen mehrerer Polizisten, die anonym bleiben wollten. „Diese Strategie war ein Fehler“, lässt „Bild“ einen anonymen Polizisten zu Wort kommen. Das ist nachvollziehbar, denn die schätzungsweise 15.000 DemonstrantInnen blieben ruhig und diszipliniert und ließen sich trotz Polizeiprovokationen nicht zu unüberlegten Gewaltausbrüchen hinreißen.

Es ist richtig, dass die Oppositionsparteien in Hessen und im Bund jetzt die Vorgänge gründlich aufarbeiten wollen und dass die Forderung nach Rücktritt von Innenminister Rhein erhoben wird. Es ist richtig und wichtig, dass der Protest gegen die Polizeiübergriffe breiter und lauter wird und alle Betroffenen das ihnen zugefügte Unrecht nicht auf sich sitzen lassen, sondern sich dagegen wehren.

Nicht lamentieren, sondern analysieren und lernen

Aber wehklagen und lamentieren darüber, dass rechte Politiker und Polizeichefs eben so sind wie sie sind genügt nicht. Moralische Entrüstung allein bringt uns nicht weiter. Wir stehen erst am Anfang eines langen Kampfes gegen die herrschende Klasse, die in diesem Lande noch fest im Sattel sitzt. Die Verhinderung der Demonstration am vergangenen Samstag war ein Etappensieg der anderen Seite und eine Niederlage für uns. Ob die Empörung über den Polizeieinsatz zumindest in der Region länger anhält und Folgen nach sich zieht, muss sich zeigen. Wir sollten uns aber nichts vormachen: Die herrschende Klasse hat noch genügend Macht- und Propagandamittel in der Hand und wird immer wieder versuchen, kapitalismuskritische Proteste zu kriminalisieren und vom Rest der Bevölkerung zu isolieren.

Umso mehr müssen wir in der aktuellen Lage nüchtern und offen unsere Stärken und Schwächen analysieren und die kommenden Auseinandersetzungen theoretisch und praktisch vorbereiten. 15.000 oder 20.000 Demo-TeilnehmerInnen am Samstag waren schon eine starke Beteiligung, aber es waren gleichzeitig deutlich weniger als bei der Blockupy-Demo 2012. Für ein Land mit 80 Millionen Einwohnern war es jedenfalls eine kleine Minderheit.

Dabei fiel auf, dass die Gewerkschaften als betriebliche Massenorganisationen insgesamt viel zu schwach vertreten waren. Zwar waren viele linke Gewerkschaftsmitglieder mit den Fahnen ihrer Organisation dabei und Untergliederungen wie ver.di Stuttgart, IG Metall Frankfurt, DGB-Jugend, GEW Hessen und ver.di-Jugend Südhessen gut vertreten. Viele haupt- und ehrenamtliche Gewerkschaftsfunktionäre waren als Privatpersonen dabei. Aber die Verbindung zu aktuellen betrieblichen Kämpfen war unterbelichtet. Eine von wenigen Ausnahmen bildeten die gegen ihre willkürliche Kündigung kämpfenden Frankfurter Maredo-Beschäftigten, die mit einem großen Transparent mitmarschierten und skandierten: „Im Betrieb und nicht im Saal – schlagen wir das Kapital“. Eindrucksvoll war auch, wie Beschäftigte des Frankfurter Schauspielhauses aus schwindelnder Höhe mit Seilen von oben den Eingekesselten am Nachmittag Wasser und Proviant zukommen ließen. Die Distanz maßgeblicher Teile der Gewerkschaftsbewegung gegenüber der Protestbewegung gegen die Troika und die kapitalistische Krise muss von beiden Seiten überwunden werden. Blockupy-Aktivisten sollten systematisch auf Gewerkschaftsmitglieder und Belegschaften zugehen. Linke, kapitalismuskritische und kämpferische GewerkschafterInnen sollten ihre Organisationen für Aktivitäten und internationale Solidarität gewinnen. Das erfordert viel und geduldige Überzeugungsarbeit. Vergessen wir nicht, dass die DGB-Gewerkschaften bei halbwegs konsequenter Mobilisierung – wie etwa 1996 oder 2004 – Hunderttausende auf die Beine bringen können.

Ungeduld

Ungeduld darüber, dass die Lage in Deutschland scheinbar und oberflächlich betrachtet noch viel stabiler und ruhiger ist als anderswo in Europa, hilft uns nicht weiter. Die Kapitalistenklasse hierzulande hat es bisher geschafft, durch ein System des „Teile und Herrsche“ sowie durch einzelne, bescheidene Zugeständnisse größere Bewegungen zu verhindern. Vor allem vor der Wahl ist sie darauf bedacht, Ruhe im Lande zu wahren. Dies kann und wird sich in den Monaten und Jahren nach der Bundestagswahl durchaus ändern. Darauf müssen wir uns politisch, inhaltlich, programmatisch und praktisch vorbereiten.
Erfahrungen aus Südeuropa zeigen: Mehr denn je kommt es bei Demos auf gut organisierte Ordnerdienste aus den eigenen Reihen an. Sie haben die Aufgabe, die Veranstaltung gegen Angriffe von außen zu schützen und einen gewaltfreien Ablauf sicherzustellen, Sachbeschädigungen und Angriffe auf Personen aus der Demonstration heraus zu unterbinden sowie eingeschleuste Provokateure und individuelle Gewalttäter zu isolieren und aus der Demonstration auszuschließen.

Angesichts der Empörung über das Vorgehen der Staatsgewalt wird jetzt vor allem über die Frage demokratischer Grundrechte diskutiert. Die Kritik des Blockupy-Bündnisses an Banken, Regierungen, EU und Kapitalismus tritt dabei eher in den Hintergrund. So wichtig und berechtigt zentrale Demos in Frankfurt sind – unsere Aufgabe liegt jetzt darin, den Protest dezentral in jede Stadt, jede Gemeinde, jeden Betrieb zu tragen, und zwar nach dem altbekannten Motto: Aufklären, mobilisieren und organisieren.

Auch ist die Blockade eines Geschäftsbetriebs am wirksamsten, wenn sie „von innen“ – also aus dem Betrieb heraus – kommt. In Frankfurt arbeiten schätzungsweise 70.000 Menschen bei Banken – also deutlich mehr als in lokalen Industriebetrieben. Die Belegschaften in den Bankentürmen bestehen längst nicht nur aus gut verdienenden Spezialisten, Brokern, Analysten und Chefökonomen, sondern zu einem guten Teil aus Angestellten mit durchschnittlichen Einkommen und unterdurchschnittlich verdienenden Büro- und Servicekräften, Reinigungs- und Küchenpersonal, Dienstboten und Druckern. Ein systematischer, professionell angelegter Versuch, diese Belegschaften durch wochenlange Überzeugungsarbeit für die Proteste gegen Bankenmacht und Kapitalismus zu gewinnen, fand auch in diesem Jahr nicht statt. Auf die symbolischen Blockadeaktionen am Freitagvormittag waren EZB und andere Geschäftsbanken vorbereitet. Viele Angestellte hatten einen Tag frei oder arbeiteten vom häuslichen PC oder einer anderen Stelle aus.

Über den „Antikapitalismus“ der Blockupy-Proteste hinaus brauchen wir ein alternatives Programm und Perspektiven des Kampfes für die Überwindung des Kapitalismus. „Sozialismus oder Barbarei“ – diese Feststellung von Rosa Luxemburg ist in der heutigen Welt so aktuell wie zu ihren Lebzeiten vor 100 Jahren. Die Staatsschuldenkrise in Europa und die erneute massenhafte Verelendung von Millionen Menschen sind eine riesige Herausforderung für Arbeiterbewegung und linke Organisationen. Mit einer marxistischen Analyse können wir die Ursachen und Tiefe der Krise begreifen. Mit einem sozialistischen Übergangsprogramm können wir eine Brücke schlagen zwischen den Alltagsnöten und der Notwendigkeit einer sozialistisch-demokratischen Gesellschaftsordnung, in der die Banken, Großkonzerne und Schaltstellen der wirtschaftlichen Macht in Staatshänden ruhen und demokratisch kontrolliert und verwaltet werden.