Katalonien: Der massive Generalstreik von Freitag markiert einen qualitativen Sprung

Der gestrige Generalstreik markierte einen qualitativen Sprung in der politischen Entwicklung Kataloniens. In den letzten vier Tagen wurden massenhaft friedliche Demonstrationen zur Freilassung der politischen Gefangenen von der spanischen und katalanischen Polizei brutal angegriffen.

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Am Donnerstag wurden die Demonstranten auch von Neonazis angegriffen, die von der Polizei geschützt wurden und einen Antifaschisten brutal verprügelten. Große Teile der Jugend in Barcelona haben Vergeltungsmaßnahmen ergriffen und Barrikaden errichtet.

Die Repression hat zwei Ziele: Erstens hat die katalanische Regierung, die die regionale Polizei kontrolliert, Angst vor der Aussicht auf die Aufhebung der katalanischen Autonomie und ihrer eigenen möglichen Inhaftierung. Unter diesem Damoklesschwert greift sie die Demonstranten hart an. Zweitens will der Zentralstaat Gewalt schüren und ein Bild der Gesetzlosigkeit erzeugen, um die Pro-Unabhängigkeitsbewegung zu demoralisieren. Vor allem aber zielt der spanische Staat darauf ab, einen Sperrgürtel um Katalonien zu errichten um damit die Dynamik der großen Solidaritätsproteste mit Katalonien in Städten wie Madrid, Badajoz, Granada und natürlich Valencia und dem Baskenland zu untergraben. Nach den gestrigen Ereignissen können wir feststellen, dass der Staat dieses Ziel nicht erreicht hat.

Nach Angaben der Organisatoren beteiligten sich mehr Menschen an dem Streik als am 3. Oktober 2017 (aufgerufen aus Protest gegen die Niederschlagung des Referendums) und im November 2012. Der Stromverbrauch sank um über 10% und die Zahl der U-Bahn-Nutzer in Barcelona ging um 50% zurück. Dies trotz der Tatsache, dass der Streik von Minderheitengewerkschaften organisiert wurde - und trotz der konzertierten Versuche des Staates, die Bewegung durch Gewalt zu demoralisieren. Es ist jedoch wahr, dass die "schweren Bataillone" der Arbeiterklasse, mit einigen bemerkenswerten Ausnahmen (wie den Hafenarbeitern), die Arbeit nicht niederlegten und dass die katalanische Arbeiterklasse weiterhin in Bezug auf die nationale Frage gespalten ist.

Die Demonstrationen in Barcelona waren gewaltig - es gab keine wirkliche Demonstration, denn die Demonstranten überfluteten das Zentrum vollständig und konnten sich in keine Richtung bewegen. Laut der örtlichen Polizei gab es 525.000 Demonstranten. Die tatsächliche Zahl liegt bei 750.000. Die Bedeutung dieser Zahlen sollte niemandem entgehen. Dies geschieht nach tagelangen Unruhen und brutaler Polizeigewalt. Es ist bemerkenswert, dass viele dieser Demonstranten Spanisch sprachen und spanische republikanische Flaggen trugen. Die Bewegung hat einen demokratischen Charakter erhalten, der deutlich über die nationale Frage hinausgeht.

Unmittelbar nach diesem Marsch griff die Polizei friedliche Demonstranten in der Via Laietana an. Barrikaden wurden errichtet und die umliegenden Straßen wurden zum Ort einer Schlacht. Die Jugendlichen (insbesondere die 16- bis 19-Jährigen) standen wie immer an vorderster Front des Kampfes. Zehntausende konfrontierten gestern die Polizei. Diese Jugendlichen waren bei Ausbruch der Krise noch Kinder. Sie haben nichts als Arbeitslosigkeit, prekäre Arbeit und Austeritätspolitik kennen gelernt. Sie sind erst kürzlich auf die Straße gegangen, um gegen die Unterdrückung von Frauen und gegen den Klimawandel zu protestieren. Ihre ganze aufgestaute Wut sprudelt jetzt heraus. Die Polizei, insbesondere die spanische Nationalpolizei, reagierte brutal, feuerte Gummigeschosse (die in Katalonien illegal sind) und Tränengas ab, verprügelte Demonstranten und Passanten, verhaftete Journalisten und fuhr in ihren Transportern mit voller Geschwindigkeit in die Demonstranten.

Ich saß mit Genossen auf der Plaça Catalunya, etwa 500 Meter von den Barrikaden entfernt, als aus Dutzenden von Polizeiwagen mit Gummikugeln in die Menge geschossen und versucht wurde, Menschen zu überfahren. Zum ersten Mal in Katalonien verwendete die Polizei einen Wasserwerfer. 182 Menschen wurden verletzt, einige können sogar das Augenlicht verlieren, nachdem sie mit Gummigeschossen ins Auge getroffen wurden. Diese Brutalität entspricht zum Teil der politischen Agenda des spanischen Staates, spiegelt aber auch die Angst und Verunsicherung der Polizei wider, die nach fünf Tagen des Kampfes gegen die Jugendlichen in zwölfstündigen Schichten überfordert und erschöpft ist.

Angesichts des Erfolgs des Streiks (und der Solidaritätsbewegung anderswo in Spanien) schlug Pedro Sánchez gestern versöhnliche Töne an. Eine solche Reaktion auf die Urteile gegen die politischen Gefangenen hatte er nicht erwartet. Wenn er klug ist, wird er sich auf die katalanische Regierung verlassen, um die Proteste zu stoppen und dabei das republikanische Lager zu spalten und zu erschöpfen. Aber eine Parlamentswahl steht bevor und die Ereignisse von gestern Abend haben den Einsatz erhöht. Die Repression kann sich erheblich verschärfen und der Staat könnte die katalanische Autonomie einschränken, was die Menschen wütend machen und neue Schichten in den Kampf einbinden wird.

Der Staat schwankt zwischen Repression und Konzessionen. Gleichzeitig sind die kleinbürgerlichen Nationalisten an der Spitze der katalanischen Regierung tief gespalten. Unter dem Druck von unten versprach der katalanische Präsident Quim Torra, das Recht auf Selbstbestimmung in den kommenden Monaten umzusetzen und zögerte, die Gewalt zu verurteilen (obwohl er es schließlich doch tat). Seine Minister haben sich seinem Ruf nach Selbstbestimmung offen widersetzt und die Gewalttätigkeiten viel aggressiver kritisiert. Es gibt tiefe Spaltungen an der Regierungsspitze, die für eine vorrevolutionäre Situation charakteristisch sind.

Die Bewegung, und vor allem die Jugend, hat außerordentliche Energie und Entschlossenheit gezeigt. Die Situation hat einen aufständischen Charakter angenommen. Aber es bestehen große Gefahren, die damit verbunden sind. Es gibt keine Führung. Mit der Zeit werden die Massen müde, es wird eine Spaltung zwischen der Jugend und den älteren Generationen geben, die Reaktion wird den Kopf heben und sich auf die Bereiche der katalanischen Gesellschaft mit einer spanischen nationalen Identität stützen, um sich brutal zu behaupten.

Die CUP, die ganz links in der Unabhängigkeitsbewegung steht, sollte nun die Gelegenheit nutzen und den Weg nach vorne weisen. Aber sie sitzt an der Seitenlinie, desorientiert und verwirrt. Sie sollte die katalanische Regierung kritisieren. In Spanien ist die Selbstbestimmung eine revolutionäre Aufgabe, die diese kleinbürgerlichen Politiker nicht erfüllen können. Zu Recht hat die CUP einen Appell an die Solidarität der spanischen Völker gerichtet. Sie hat auch (sehr zaghaft) die Bildung von Volksversammlungen gefordert, dies ist ein Schritt in die richtige Richtung, aber es ist nicht genug.

Es gibt ein enormes Aufbrausen, das alle bestehenden Organisationen überflutet und nach einem Ventil sucht. Die Versammlungen müssen gewissenhaft organisiert und durch die Wahl von Delegierten zentralisiert werden; sie müssen sich mit einem klassenbasierten Programm für den sozialen Wandel wappnen, das in jedes Viertel und an jeden Arbeitsplatz gebracht werden sollte; Agitationsbrigaden müssen in Arbeiterviertel entsandt werden, um zu versuchen, die noch skeptischen oder feindlichen Sektoren zu gewinnen. Barrikadenausschüsse sollten gewählt werden, die jederzeit den Versammlungen gegenüber rechenschaftspflichtig sind, um die Selbstverteidigung zu organisieren und Provokateure auszuschalten. Die katalanische Bewegung ist jetzt wie ein Auto, das mit voller Geschwindigkeit fährt, aber es fehlt der Fahrer am Steuer. Revolutionäre Führung ist dringend erforderlich, wenn die Bewegung nicht besiegt werden soll.

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