In Verteidigung des Materialismus

Wie erwerben wir Wissen? Gibt es eine Realität jenseits unserer Sinne? Wenn ja, wie treten wir zu ihr in Beziehung? In diesem wichtigen theoretischen Beitrag verteidigt Alan Woods, Redakteur von marxist.com, den Materialismus gegen den Idealismus und gegen den obskuratistischen, postmodernen Subjektivismus, der heute an den Unis so beliebt ist.

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Joseph Dietzgen sagte einst, die offizielle Philosophie sei keine Wissenschaft, sondern ein Bollwerk gegen den Sozialismus. Er traf den Nagel auf den Kopf. Egal wie entrüstet sie es von sich weisen, die professionellen Philosophen werden von den Verteidigern des Status Quo als Verbündete in ihrem Kampf gegen den Marxismus herangezogen. Besonders auffällig war das in der Periode des kalten Krieges als die CIA Philosophie und Kunst als Waffen gegen den Kommunismus verwendeten, aber es gilt noch heute.

Seit der Marxismus eine reale Kraft darstellt und die herrschende Ordnung herausfordert, befindet sich das Establishment in einem dauerhaften Kriegszustand mit jedem Aspekt der marxistischen Ideologie, allem voran dem dialektischen Materialismus. Den Marxismus auch nur zu erwähnen, versprach eine reflexartige Reaktion in diesen Kreisen zu provozieren. „Veraltet“, „unwissenschaftlich“, „schon lange widerlegt“, „Metaphysik“, und der ganze Rest der fadenscheinigen und ermüdenden Litanei der Reaktion.

Nicht nur Marx und Engels sind personae non grata in den heiligen Hallen der Philosophiefakultäten, selbst der gute alte Hegel, einst als der größte aller Philosophen verehrt, wird beschämenderweise dem Schweigen oder Schlimmerem preisgegeben.

Diese Situation ist nicht allein Ausdruck von Ignoranz und Vorurteilen (obwohl es auch daran nicht mangelt). Mächtige materielle Interessen stehen auf dem Spiel, die schnell alle außer die Mutigsten davon überzeugen, dass es nicht weise ist, sich mit jenen anzulegen, die die Fördermittel ausgeben und akademische Karrieren ermöglichen.

Es ist augenfällig, dass die postmoderne Clique an den Unis nicht gerne daran erinnert wird, dass es eine Zeit gab, in der Philosophen tatsächlich etwas tiefgreifendes und wichtiges über die reale Welt zu sagen hatten.

Dieser Artikel von Alan Woods erschien ursprünglich als Einleitung zur neuen englischen Ausgabe von Lenins Klassiker Materialismus und EmpiriokritizismusZum Originalartikel.

Die Bedeutung der Theorie

Bereits in „Was tun?“ betonte Lenin:

«Ohne revolutionäre Theorie kann es auch keine revolutionäre Bewegung geben. Dieser Gedanke kann nicht genügend betont werden in einer Zeit, in der die zur Mode gewordene Predigt des Opportunismus sich mit der Begeisterung für die engsten Formen der praktischen Tätigkeit paart.» (W.I. Lenin, Werke, Bd. 5, S. 379.)

Er fügte hinzu, dass «die Rolle des Vorkämpfers nur eine Partei erfüllen kann, die von einer fortgeschrittenen Theorie geleitet wird.» Und einer der wichtigsten Beiträge zur marxistischen Theorie ist zweifellos Materialismus und Empiriokritizismus.

Lenin begann die Arbeit an diesem Klassiker des Marxismus im Februar 1908. Das war der Höhepunkt einer Periode der Reaktion nach der Niederschlagung des Moskauer Aufstandes im Dezember 1905. Der Bauernaufstand, auf den Lenin seine Hoffnungen für ein Wiederaufleben der Revolution gesetzt hatte, kam zu spät. Der Zarismus ergriff das Heft des Handelns und ging in die Offensive.

Es folgte eine Periode schwarzer Reaktion, die mehrere Jahre anhielt. Massenverhaftungen, Hinrichtungen im Schnellverfahren und das unbarmherzige Niederschlagen jeglicher Opposition dezimierten die Bewegung. Die Marxisten (damals Sozialdemokraten genannt) waren brutalster Verfolgung ausgesetzt. Ihr Anführer wurden ausfindig gemacht, verhaftet und nach Sibirien verbannt oder erschossen. Tausende andere wurden ohne Gerichtsverfahren ermordet.

Diese Niederlage löste eine tiefe Demoralisierung in der Bewegung aus, insbesondere bei den Intellektuellen, die mit der Revolution sympathisierten als sie im Aufschwung war, sie aber mit dem Beginn der Reaktion verließen. Eine pessimistische Stimmung durchdrang das Kleinbürgertum.

Das fand seine Widerspiegelung in einem allgemeinen Gefühl von Hoffnungslosigkeit, eine Tendenz den Klassenkampf aufzugeben und seinen Blick nach innen zu richten, neue Ideen und Wundermittel zu suchen, was auch mystische und semi-religiöse Ideen beinhaltete („Götterbauertum“). Das sind die Umstände, in deren Licht man die reale Bedeutung von Lenins Kampf gegen den philosophischen Revisionismus betrachten muss.

Es war ungefähr zu dieser Zeit, als der subjektive Idealismus von Richard Avenarius und Ernst Mach in einer Schicht der Intelligenzija in Russland modern wurde. Er entsprach genau der vorherrschenden Stimmung von Niedergeschlagenheit, Pessimismus und Mystizismus.

Die sozialistische Bewegung war diesen Entwicklungen gegenüber nicht immun und eine Schicht begann dem Machismus nachzugeben. Das war Teil der allgemeinen Konterrevolution auf der Ebene der Ideen.

Das Kleinbürgertum und die Revolution

In gescheiterten Revolutionen ist ein ums andere Mal das gleiche Muster zu beobachten. Sobald die revolutionäre Bewegung zurückgeworfen wird, sehen wir eine lange Schlange depressiver Intellektueller, die sich einer nach dem anderen eilig bemühen die revolutionäre Bewegung aufzugeben und sich in die Sicherheit ihrer Schreibstuben zurückzuziehen.

Die Intellektuellen stellen ein akkurates Barometer über die sich verändernde Stimmung im Kleinbürgertum dar. Diese Zwischenschicht zwischen dem Proletariat und der Bourgeoisie ist organisch instabil und schwankt ständig zwischen den großen Polen in der Gesellschaft.

Soweit es der Intelligenzija möglich ist, sich der Arbeiterklasse und dem revolutionären Sozialismus anzunähern, bleibt sie immer ein extrem instabiler, schwankender und unverlässlicher Verbündeter. Wenn die Arbeiterklasse eine revolutionäre Richtung einschlägt, können Teile der kleinbürgerlichen Intelligenz in eine ekstatische Stimmung des Enthusiasmus verfallen. Diese Stimmung kann sich allerdings schnell in ihr Gegenteil verkehren.

Sie verlieren jeden Glauben an die Stärke der Arbeiterklasse, geben dem Druck der Reaktion nach und gehen nach rechts. Das Ideal vom kollektiven Kampf wird durch die Suche nach individuellen Lösungen ersetzt. Subjektivismus, Relativismus und Agnostizismus – mit anderen Worten philosophischer Idealismus – gewinnen an Einfluss.

Sie erfinden alle möglichen „cleveren“ Ideen als Ursache von Niederlagen. Sie geben immer der Arbeiterklasse die Schuld für ihren eigenen Misserfolg. Und sie beginnen ohne Ausnahme die Notwendigkeit „neuer Ideen“ und die „Freiheit der Kritik“ zu predigen und für ein Ende der „erstickenden Orthodoxie“ (i.e. des Marxismus) zu argumentieren, der sie aus ihrer Sicht verraten hat.

«Freiheit der Kritik»

In Russland erschien zwischen 1906 und 1908 eine Reihe von Büchern und Artikeln von Alexander Bogdanow, Anatoli Lunatscharski und W. A. Basarow sowie anderen linken Intellektuellen, wie dem Menschewiken Pawel Juschkewitsch und dem Haupttheoretiker der Partei der Sozialrevolutionäre, Wiktor Tschernow. Das Hauptargument dieser Schriften war, dass der Marxismus „veraltet“ sei. Er müsse durch die „neuen“ Entdeckungen von Mach und Avenarius „auf den neuesten Stand gebracht“ werden.

Aber der Marxismus ist eine einheitliche und harmonische Weltsicht. Er ist keine Sammlung guter Ideen, die man nach Belieben austauschen kann. Diese sogenannten „neuen Entdeckungen“ liefen in der Praxis auf eine komplette Verneinung des Marxismus und seiner materialistischen Philosophie hinaus.

Diese Ideen waren nicht nur völlig falsch, sondern sie begannen auch ein Echo in den Reihen der Bolschewiki zu finden – bis hin zur Führung. Bogdanow war zu diesem Zeitpunkt eines der bekanntesten Mitglieder des Zentralkomitees und Redaktionsmitglied der bolschewistischen Zeitung Vperyod. In der Periode vor der 1905er Revolution hatten er und die Anhänger seiner Philosophie eine wichtige Rolle gespielt. Er brachte sich auch als Experte für philosophische Fragen in Stellung.

Belesen in Philosophie zu sein bedeutet aber nicht zwangsläufig, sie auch zu verstehen. Bogdanow und seine Anhänger ließen immer wieder ein enges und ziemlich oberflächliches Verständnis der marxistischen Theorie erkennen, das einen Hang zu starren Schemata und Formeln aufwies. Sie zeigten ein völliges Unverständnis für die marxistische Philosophie: die dialektische Methode war ihnen fremd, was später zu einer Serie ultralinker Fehler in taktischen Fragen führte.

Wie andere Revisionisten vor (und nach) ihnen erhoben die bolschewistischen Machisten die Forderung nach „Freiheit der Kritik“. Sie beteuerten nicht gegen den Marxismus zu sein, sondern ihn nur im Einklang mit den „neuesten Entdeckungen“ der Wissenschaft und Philosophie „aktualisieren“ zu wollen.

Aber das war ein bloßer Trick und eine Ablenkung von der Tatsache, dass sie sich vom Marxismus abwandten und die Partei dabei in den Schlepptau nehmen wollten. Lenin ließ daran keinen Zweifel:

«Genosse Sashin […] fordert, den ‘Mitgliedern der Partei’ müsse ‘die völlige Freiheit ihrer revolutionären und philosophischen Gedanken’ ‘gewährleistet’ sein. Diese Losung ist durch und durch opportunistisch. Eine derartige Losung wurde in allen Ländern innerhalb der sozialistischen Parteien nur von Opportunisten aufgestellt und bedeutete in der Tat nichts anderes als die ‘Freiheit’, die Arbeiterklasse durch die bürgerliche Ideologie zu demoralisieren. ‘Gedankenfreiheit’ (lies: Freiheit der Presse, des Wortes, des Gewissens) fordern wir ebenso wie Koalitionsfreiheit vom Staat (aber nicht von der Partei). Die Partei des Proletariats hingegen ist eine freie Vereinigung, geschaffen für den Kampf gegen die ‘Gedanken’ (lies: gegen die Ideologie) der Bourgeoisie, für das Verfechten und Durchsetzen einer ganz bestimmten, nämlich der marxistischen Weltanschauung. […] Diese Unaufrichtigkeit besteht darin, dass die einen ‘Wperjod’-Leute das Proletariat allzugern zu den Ideen der bürgerlichen Philosophie (zum Machismus) zurückziehen wollen und dass sich die anderen der Philosophie gegenüber gleichgültig verhalten und lediglich ‘völlige Freiheit’ … für den Machismus fordern.» (W.I. Lenin, Werke, Bd. 16, S. 271f..)

Die Bibel lehrt uns, dass es nichts neues unter der Sonne gibt. Und wirklich war daran nichts neu, weder an den Ideen von Mach und Avenarius, noch an den Behauptungen der russischen Machisten den Marxismus aktualisieren zu können. Marx und Engels führten viele Kämpfe gegen den idealistischen Revisionismus, das berühmteste Beispiel ist Engels‘ Polemik gegen Eugen Dühring.

Im Laufe der Geschichte der revolutionären Arbeiterbewegung traten immer wieder clevere Leute mit dem Anspruch auf, den Marxismus auf den neusten Stand bringen zu wollen. Bogdanow und seine Verbündeten waren von diesem Schlag. In der Praxis repräsentieren solche Elemente den Druck fremder Klassen.

Die Arbeiterklasse existiert nicht im Vakuum; sie ist von anderen Klassen und sozialen Schichten umgeben, deren Klassenperspektive in der Arbeiterbewegung widergespiegelt werden können. Der Klassenkampf ist demnach nicht nur ökonomisch und politisch, sondern genauso wichtig ist der philosophische Kampf, wie Lenin immer wieder betonte.

Lenins Kampf gegen den Revisionismus

Lenin hat seine Meinungsverschiedenheiten mit Bogdanow in der Frage der Philosophie nie verborgen. Aber einige Jahre lang war er bereit, mit ihm zusammenzuarbeiten und seine anderen Fähigkeiten in den Dienst der Partei zu stellen. Als er allerdings den systematischen Versuchen gewahr wurde, die philosophische Basis des Marxismus zu unterminieren, erklärte er den Machisten den Krieg. Er trat in einen entschiedenen Kampf zur Verteidigung der grundlegenden Ideen des Marxismus gegen den Reformismus ein. Der Gipfel dieses Kampfes war die Publikation von Materialismus und Empiriokritizismus 1909. Damals schrieb er Maxim Gorki, einem engen Freund Bogdanows und Lunacharskis und einem Sympathisanten ihrer Ideen:

«Jetzt sind die Umrisse der Philosophie des Marxismus [eine Serie von Artikeln die anlässlich eines von Bogdanow und seinen Verbündeten organisierten Symposiums geschrieben wurden – AW] erschienen. Ich habe alle Artikel durchgelesen, außer dem Suworowschen (ich bin gerade dabei), und bei jedem Artikel war ich einfach toll vor Empörung. Nein, das ist kein Marxismus! Und unsere Empiriokritiker, Empiriomonisten und Empiriosymboliker geraten in einen Sumpf. Dem Leser vorzumachen, dass der ‘Glaube’ an die Realität der Außenwelt ‘Mystik’ sei (Basarow), auf die scheußlichste Weise Materialismus und Kantianertum zu verwechseln (Basarow und Bogdanow), die Wesensverschiedenheit des Agnostizismus (Empiriokritizismus) und des Idealismus (Empiriomonismus) zu predigen, – den Arbeitern einen ‘religiösen Atheismus’ und eine ‘Anbetung’ der höchsten menschlichen Potenzialitäten zu lehren (Lunatscharski), – die Engelssche Lehre von der Dialektik als Mystik zu erklären (Beermann), – aus der stinkenden Quelle irgendwelcher französischer ‘Positivisten’ – Agnostiker oder Metaphysiker zu schöpfen, – hol sie der Teufel – mitsamt der ‘symbolischen Theorie der Erkenntnis’ (Juschkewitsch)! Nein, das ist zu stark! Natürlich wir sind simple Marxisten, in der Philosophie unbelesen, aber warum muss man uns so beleidigen und so etwas als Ph[iloso]phie des M[arxi]smus auftischen! Ich lasse mich eher vierteilen, als dass ich mich damit einverstanden erkläre, an einem Organ oder an einem Kollegium mich zu beteiligen, das solche Sachen predigt.» (W.I. Lenin, Brief an A. M. Gorki, 1908.)

Es handelte sich keineswegs um eine Debatte über obskure philosophische Lehren. Es war ein Kampf um die Seele der revolutionären Bewegung. Lenin verstand, worauf der machistische Angriff hinaus lief: «Bei uns aber gibt es Leute, die als Marxisten gelten möchten und eine Philosophie in die Massen tragen, welche hart an Fideismus grenzt.» (W.I. Lenin, Werke, Bd. 14, S. 69.)

Materialismus und Idealismus

Die wichtigsten Leitgedanken der marxistischen Philosophie (des dialektischen Materialismus) wurden von Friedrich Engels im Anti-Dühring und in Ludwig Feuerbach und das Ende der klassischen deutschen Philosophie erklärt. Hier beschreibt Engels, dass die beiden grundlegenden Strömungen in der Philosophie der Materialismus und der Idealismus seien. In seinem Buch erläutert Lenin den Unterschied zwischen diesen philosophischen Schulen:

«Der Materialismus betrachtet die Natur als das Primäre, den Geist als das Sekundäre, er setzt das Sein an die erste, das Denken an die zweite Stelle. Für den Idealismus gilt das Umgekehrte. Diesen Grundunterschied der ‘zwei großen Lager’, in die sich die Philosophen der ‘verschiedenen Schulen’ des Idealismus und des Materialismus spalten, macht Engels zum Eckpfeiler seiner Betrachtungen und beschuldigt jene, die die beiden Ausdrücke Idealismus und Materialismus in einem andern Sinne gebrauchen, direkt der ‘Verwirrung’.» (Ebd. S. 92.)

Lenin wollte vor allem den grundlegenden Unterschied zwischen Materialismus und Idealismus darlegen und Klarheit über die tatsächliche Bedeutung des Machismus herstellen, der in Wirklichkeit nichts anderes, als eine Form des Idealismus war. Er griff die russischen Machisten für ihre „Meuterei auf den Knien“ gnadenlos an und forderte sie auf, „offen, direkt, entschieden und klar reinen Tisch zu machen“ mit den Anschauungen des Marxismus, den sie aufgegeben hatten (Ebd. S. 10.).

Wie es bei Revisionisten üblich ist, versuchten Bogdanow und Lunatscharski, ihren Bruch mit dem Marxismus durch eine Reihe unehrlicher Tricks und Täuschungen zu verschleiern. Aber Lenin riss ihnen gnadenlos die Maske vom Gesicht und enthüllte den reaktionären idealistischen Inhalt, der sich darunter verbarg.

Schritt für Schritt, Schicht für Schicht enthüllt dieses Buch den Idealismus in all seinen Maskeraden. Genauso gründlich, wie Engels die Ideen von Dühring beantwortet hatte, zitiert Lenin aus den philosophischen Schriften der russischen Machisten und der anderen Wissenschaftler und Philosophen.

Manche Leute beklagen sich, dass Lenins Buch schwer zu lesen sei. Das kann sein. Aber der einzige Weg, wie man falsche Ideen widerlegen kann, ohne der Verzerrung oder des mangelnden Verständnisses bezichtigt zu werden, ist es eben das Geschriebene ganz genau und Wort für Wort zu zitieren. Das tut Lenin und niemand kann sich beschweren, er würde seine Gegner nicht fair behandeln.

Aber aus diesem Grund kann er auch die schärfsten Urteile über sie fällen – und er zögert nicht das zu tun. Er nennt sie Wirrköpfe und ähnliches, was man üblicherweise in den Seminarräumen der Universität nicht zu hören bekommt. Aber wir wissen sehr gut, dass es dort genauso keinen Mangel an Wirrköpfen gibt, auch wenn sich niemand traut sie beim richtigen Namen zu nennen.

Lenins Ziel war einfach: den wahren Unterschied zwischen dem dialektischen Materialismus des Marxismus und dem subjektiven Idealismus der Machisten aufzuzeigen. Das ist ihm glänzend gelungen.

Bei der Analyse der verschiedenen Schattierungen und Ausdrucksformen des Machismus auf internationaler Ebene betonte Lenin, dass wir in «jeder philosophischen Frage, die durch die neue Physik aufgerollt wurde, […] den Kampf zwischen Materialismus und Idealismus verfolgen [können].» (Ebd. S. 339.) Und er zeigte:

«Hinter einem Haufen neuer terminologischer Spitzfindigkeiten, hinter dem Schutt gelehrter Scholastik fanden wir immer, ausnahmslos, die zwei Grundlinien, die zwei Grundrichtungen bei der Lösung der philosophischen Fragen. Ob man als das Primäre die Natur, die Materie, das Physische, die Außenwelt ansieht und Bewusstsein, Geist, Empfindung (nach der heutzutage verbreiteten Terminologie: Erfahrung), Psychisches u. dgl. als das Sekundäre betrachtet – das ist die Grundfrage, die in der Tat nach wie vor die Philosophen in zwei große Lager trennt.» (Ebd. S. 339-340.)

Lenin nahm diesen ideologischen Kampf so ernst, dass er bereit war anlässlich dieser Frage einen Bruch mit der gesamten Führung der bolschewistischen Fraktion zu riskieren. Die Spaltung fand 1909 statt, als Lenin es vorzog mit Bogdanow und Lunacharski zu brechen, als auch nur das kleinste Zugeständnis an den Revisionismus ihrer Philosophie, ihren sektiererischen Formalismus und ihre ultralinke Politik zu machen. Das war nach fast zwei Jahren interner Kämpfe. Als die Spaltung stattfand, hatte es Lenin jedoch geschafft, die Mehrheit der Partei für die Position des dialektischen Materialismus zu gewinnen und es waren Bogdanow und die Machisten, die gingen.

Idealismus und Religion

Der Materialismus negiert die Vorstellung, dass das Bewusstsein und der Geist von der Materie getrennt seien. Das Denken ist eine bloße Existenzweise des Gehirns, das, wie das Leben als Ganzes, nur eine auf bestimmte Weise organisierte Materie ist. Als Geist bezeichnen wir die Gesamtheit der Aktivitäten des Gehirns und des Nervensystems. Aber auf dialektische Weise ist das Ganze mehr als die Summe seiner Teile. Diese Sichtweise korrespondiert mit den Entdeckungen der Wissenschaft, die immer mehr von der Funktionsweise des Gehirns erforscht und seine Geheimnisse lüftet.

Der Idealismus beharrt im Gegensatz dazu darauf, das Bewusstsein als „Mysterium“ darzustellen – als etwas, das wir nicht verstehen können. Er mystifiziert die physische und kausale Verbindung zwischen dem denkenden Geist und dem menschlichen Körper. Dieses sogenannte Körper-Geist Problem entsteht aufgrund der Tatsache, dass geistige Phänomene als qualitativ verschieden von den physischen Körpern erscheinen, von denen sie augenscheinlich abhängen. Ein konsistenter Materialismus verteidigt hingegen, dass Körper und Geist aus einer Substanz bestehen.

Die idealistische Strömung in der Philosophie ist so alt wie Platon und Pythagoras, die die materielle Welt als unvollständiges Abbild der perfekten Idee (Form) sahen. Diese hätte bereits vor der Existenz der Erde bestanden. Das ist eine Sicht, die sich gut mit den Interessen der religiösen Lobby verträgt, die lautstark alles verteidigt, was man von den mittelalterlichen Vorurteilen über die Seele, dem Leben nach dem Tod und all dem anderen religiösen Mist noch verteidigen kann, der sich im menschlichen Gehirn als Überbleibsel der fernsten und primitivsten Zeiten angesammelt hat. Hinter der respektablen Fassade des philosophischen Idealismus verstecken sich Religion und Aberglaube. Die reine und ewige Seele soll im Inneren des schmutzigen, unvollkommenen und vergänglichen materiellen Körpers eingeschlossen sein und sich nach der Erlösung im Moment des Todes sehnen, in dem wir (wenn wir Glück haben) «den Geist loslassen» und ins Paradies schweben.

Im Laufe der Geschichte war die Religion ein Hindernis für den Fortschritt der Wissenschaft. Die Kirche steht der Ausdehnung unseres Wissens feindlich gegenüber, denn jeder Schritt vorwärts in der Wissenschaft entfernt mehr von der Basis für religiösen Aberglauben. Religion gründet auf blindem Glauben und nicht auf Wissen. Sie stützt sich auf die Angst vor dem Unbekannten, demnach ist das Unwissen ihr stärkster Verbündeter. Deshalb basieren alle Religionen auf Mystizismus, Obskurantismus, Wundern usw.

Die Kirche versuchte den Weg des Fortschrittes und der Wissenschaft mit den Feuern der Inquisition zu versperren, aber erfolglos. Im 16. und 17. Jahrhundert hatte die Philosophie noch ihre ganze Kraft. Ihre Ideen waren auf eine Weise relevant, von der heute keine Rede mehr sein kann. Die Philosophie war Wissenschaft und die Wissenschaft Philosophie. In dieser schönen neuen Welt schien Gott kein Platz mehr zu haben.

Isaak Newton war Theist und hatte Gott eine Rolle in seinem Uhrwerk-gleichen Universum zugewiesen: Er war es, der den ersten Impuls gegeben hätte. Aber nach dieser initialen Tat gab es für den Allmächtigen in der restlichen Ewigkeit nichts mehr zu tun. Die neue Philosophie bot eine Grundlage für den Atheismus und die Verteidiger des Glaubens waren sich dessen sehr wohl bewusst.

Der entschiedenste Gegner des Materialismus war damals George Berkeley (1685-1753). Berkeley war Engländer und wurde Bischof von Cloyne in Irland. Als abschließende und endgültige Antwort auf den Materialismus behauptete er, dass Materie selbst nicht existiert und dass die Welt erst durch die Beobachtung erschaffen wird. Er griff das Konzept der Materie auf der Basis an, dass es nutzlos für die Suche nach Erkenntnis sei, weil es von Widersprüchen wimmelte.

Lenin legt die Beziehung zwischen idealistischer Philosophie und Klerikalismus offen, indem er umfassend aus den Werken von Bischof Berkeley und anderen Protagonisten der Kirche zitiert:

«Aus der Lehre von der Materie oder körperlichen Substanz», sagt er, «sind auch alle jene unfrommen Systeme des Atheismus und der Religionsverwerfung hervorgegangen… Wie sehr die materielle Substanz den Atheisten aller Zeiten wert gewesen ist, bedarf nicht der Erwähnung. Alle ihre monströsen Systeme stehen in einer so offenbaren und notwendigen Abhängigkeit von ihr, dass, ist dieser Eckstein einmal weggenommen, das ganze Gebäude notwendig zusammenstürzen muss, so sehr, dass sich nicht länger der Zeitaufwand lohnen wird, eine besondere Betrachtung auf die Absurditäten einer jeden nichtswürdigen Sekte von Atheisten zu richten.» (Berkley, In: Ebd. S. 18.)

Wie in den obigen Ausführungen ausgeführt, entwickelte Bischof Berkeley seinen subjektiven Idealismus als Antwort auf den seiner Ansicht nach materialistischen Atheismus Newtons und der anderen Wissenschaftler seiner Zeit. Er lehnte die Infinitesimalrechnung von Newton und Leibniz ab, weil die Anerkennung der unendlichen Teilbarkeit des «realen Raums» den Grundpostulaten seiner Philosophie widersprach.

Er griff geschickt die Argumente des Empirismus auf, um den Materialismus zu widerlegen und die Religion zu verteidigen. Er tat dies bewusst, um den Atheismus zu bekämpfen, der – wie er korrekterweise bemerkte – durch den Fortschritt der Wissenschaften an Bedeutung gewann.

Bischof Berkeley zeigte auf raffinierte Weise, wie die Logik des Empirismus, wenn man sie auf die Spitze treibt, zur Konklusion führt, dass wir die Existenz der physischen Welt unabhängig von unseren (bzw. meinen) Sinnen nicht beweisen können. Er geht vom unbestreitbaren Grundsatz aus: „Ich nehme die Welt durch meine Sinne wahr.“ und schließt daraus, dass ich nichts außer meinen Empfindungen wissen kann.

Anstatt von Lockes Statement “Nihil est in intellectu quod non sit prius in sensu“ (“Nichts ist im Verstand/Geist, was nicht zuvor in den Sinnen war.”) stellte Berkeley: „Esse est percipi“, also „Sein ist Wahrgenommenwerden“. Dinge können nur insoweit existieren, als sie wahrgenommen werden. Also ist es unmöglich mit Sicherheit festzustellen, ob die Welt außerhalb meiner Wahrnehmung existiert. Diese philosophische Lehre, wonach das Subjekt das Sein bestimmt, nennt man subjektiven Idealismus.

Aber Berkeleys These hat einen entscheidenden Mangel. Die unausweichliche Logik des Arguments führt zum Solipsismus – nur ich existiere. Dadurch, dass die Sinneswahrnehmung die Existenz bestimmt, kann ich nichts, außer mich selbst, beweisen. Aber wenn das stimmt, wo bleibt dann Gott? Er muss demnach auch nur eine Einbildung sein – ein weiterer „Sinnesinhalt“.

Berkeley war kein Dummkopf. Wie wir sehen werden, war er sich dieser ungemütlichen Tatsache bewusst, die er zu umgehen versuchte, indem er die Existenz verschiedener geistiger Substanzen und eines „kosmischen Geistes“ (Gott) postulierte.

Dieses Dilemma war das Thema eines amüsanten Limericks:

«There was a young man who said ‘God
Must find it exceedingly odd
To think that the tree
Should continue to be
When there’s no one about in the quad.’»

Reply: «Dear Sir: Your astonishment’s odd;
I am always about in the quad.
And that’s why the tree
Will continue to be
Since observed by, Yours faithfully, God.»

R. Knox, God in the Quad

(«Ein junger Mann sagte: ‘Gott muss es äußerst merkwürdig finden, zu denken, dass der Baum auch noch weiter existieren soll, wenn niemand anwesend ist.’» Antwort: «Geehrter Herr: Ihr Erstaunen ist seltsam; Ich bin immer anwesend. Und so wird der Baum auch weiterexistieren, weil er wahrgenommen wird von mir, Ihrem Gott»)

Das Gedicht ist unterhaltsam und einfallsreich, aber nur jede, die das Bedürfnis haben, einen unsichtbaren Geist zu beschwören, um die Existenz des Baumes, den wir sehen, zu beweisen, werden es ernst nehmen. Doch was wirklich eines Beweises bedarf, bevor wir so ein Urteil wagen, ist nicht die Existenz des Baumes, den wir alle sehen können, sondern jene eines unsichtbaren Geistes, den wir per Definition nicht sehen können.

Erkenntnistheorie

Erkenntnistheorie – auch bekannt als Epistemologie – nimmt einen zentralen Platz in der Geschichte der Philosophie ein und liegt im Zentrum des Konfliktes zwischen dem philosophischen Materialismus und dem Idealismus.

Das sogenannte Subjekt-Objekt Problem hat jahrhundertelang die Aufmerksamkeit der Philosophen in Anspruch genommen. Es beschäftigt sich mit der Analyse der menschlichen Erfahrung und was daran subjektiv und was objektiv ist.

Wie können wir die Welt «außerhalb» von uns erkennen? Die Frage wird in Form einer Dichotomie gestellt:

a) das denkende «Subjekt» («Ich») und

b) das Objekt des Denkens (die «äußere» Welt).

Diese Frage wurde bereits in den Schriften von Aristoteles gestellt, aber im modernen – erkenntnistheoretischen – Sinne existiert sie seit dem 17. Jahrhundert und wurde von bürgerlichen Philosophen wie René Descartes und John Locke aufgeworfen. Descartes, ein Idealist, entwickelte das Konzept des Dualismus. Der Dualismus von Descartes betrachtet das Bewusstsein und den Körper als zwei komplett verschiedene Substanzen. Daher kommt das „duale“ Element.

Der Fehler daran ist es, das Bewusstsein als „Ding“ zu behandeln und als unabhängige Einheit, die getrennt von der sinnlichen Aktivität des Menschen existiert. Darin liegt die unüberwindbare Schwierigkeit mit dem Dualismus: Wenn das Bewusstsein gänzlich verschieden von dem physikalischen Körper ist, wie können die beiden dann interagieren?

Wir wissen heute vieles über den Gang der Natur, was Descartes nicht wusste: von der Welt der Moleküle, der Atome und der subatomaren Partikel und über die elektrischen Impulse, die die Funktionsweise des Gehirns steuern. Statt einer mystischen Seele beginnen wir ein wissenschaftliches Verständnis darüber zu erlangen, wie der menschliche Körper und das Gehirn funktionieren.

Die Entdeckungen der modernen Wissenschaft haben die Vorstellung vom Bewusstsein als unabhängiges „Ding“ für immer begraben. Und doch, so merkwürdig es scheinen mag, fehlt es auch im 21. Jahrhundert nicht an Verfechtern dieses mystischen Unsinns.

Subjekt, Objekt und Dialektik

Die erste Frage, die sich stellt ist, „was“ gewusst wird. Das zweite Problem ist „wie“ wir wissen, was wir wissen. Das sind im Grunde die Fragen, die die Erkenntnistheorie beantworten möchte.

Es ist eine grundlegende Prämisse, dass ich die Welt durch meine Sinne verstehe. Diese Aussage ist in Wahrheit eine Tautologie, insoweit ich ohne Augen, Ohren, Hände und Gehirn keinerlei Wissen über die Welt erlangen kann. Der subjektive Idealismus interpretiert das so, dass ich eigentlich gar kein wirkliches Wissen über die Welt, über meine eignen Sinneseindrücke hinaus, haben könne.

Um in den Worten des Philosophen A. J. Ayers, eines logischen Positivisten zu sprechen, ist alles, was ich wissen kann „Sinnesdaten“.

Das Problem der Erkenntnis entsteht erst dann, wenn ich das Bewusstsein verstehe als:

  • etwas Getrenntes vom physischen Körper und
  • etwas, das von der materiellen Welt getrennt ist.

In Wirklichkeit ist der subjektive Idealismus und der philosophische Dualismus eine bloße Idealisierung der starren Trennung von körperlicher und geistiger Arbeit. Die Mystifizierung des menschlichen Denkens wird so weit getrieben, dass geschlussfolgert wird, dass nur das Denken real sei. „Die eine Seite“ wird „der anderen Seite“ so gegenüberstellt, als ob sie durch eine unüberwindbare Wand getrennt wären.

Der dialektische Materialismus geht von der Prämisse aus, dass die objektive Welt unabhängig vom Subjekt existiert, die beiden aber Teil einer dialektische Einheit sind. Das Bewusstsein ist keine trennende «Wand» zwischen Subjekt und Objekt. Es ist vielmehr eine Brücke, die die beiden verbindet. Das Subjekt ist selbst ein Objekt, insofern als der Mensch den objektiven Gesetzen der Natur und der Gesellschaft unterworfen ist.

Aber durch ihre subjektive Tätigkeit können Menschen mit der objektiven Welt, die sie umgibt, interagieren und tun das auch. Eben dadurch wird nicht nur die Natur, sondern auch die Gesellschaft tiefgreifend verändert.

Subjekt und Objekt sind also keine für immer festgelegten und einander entgegengesetzten Antithesen, sondern sie wechseln ihre Position, die eine Seite geht in die andere über. Sie reagieren ständig aufeinander, als Ergebnis der menschlichen sozio-ökonomischen Praxis. Es ist durch die Praxis und nicht durch die passive Betrachtung, durch welche die Menschen kontinuierlich ihre Umwelt verändern, und sich dabei stets auch selbst verändern.

In dieser Tätigkeit spielt das Denken überhaupt keine zwingende Rolle. Die meisten Veränderungen gingen ohne Planung oder bewusstes Nachdenken vonstatten. Diese Veränderungen sind das Resultat der menschlichen sinnlichen Tätigkeit: die menschliche Arbeit, von der Anwendung primitiver Steinwerkzeuge bis zum Betreiben von Kernreaktoren.

Die Macht der Abstraktion

Die menschliche Praxis erlaubt es uns die Welt, in der wir leben, und ihre Gesetze zu verstehen, was es uns letzten Endes ermöglicht diese Gesetze zu meistern, uns über sie zu erheben und echte Freiheit zu erlangen, die die Erkenntnis der Notwendigkeit ist.

Wir denken nicht nur mit dem Gehirn, sondern mit dem ganzen Körper. In dem Sinne beginnt ein Baby die materielle Welt zu begreifen, indem es sie in den Mund steckt und versucht, sie zu essen. Mit den Worten von Goethe: „Im Anfang war die Tat.“

Aber das Denken darf nicht als isolierte Tätigkeit verstanden werden („der Geist in der Maschine“), sondern als Teil der gesamten menschlichen Erfahrung, ihrer sinnlichen Aktivität und in Wechselbeziehung mit der Welt und mit anderen Menschen. Es muss als Teil dieses komplexen Prozesses der ständigen Interaktion gesehen werden und nicht als isolierte Aktivität, die ihm mechanisch gegenübergestellt wird.

Wenn wir sagen, dass alles Wissen auf Erfahrung beruht, dann ist damit keineswegs meine persönliche Erfahrung gemeint, sondern die gesamte kollektive Erfahrung der Menschen über einen Zeitraum von Hunderttausenden von Jahren.

Die Welt hat schon lange vor der Existenz von Menschen oder andere Lebensformen bestanden, die sie hätten beobachten können. Bewegte Materie (Leben) entstand organisch aus unbelebter Materie. Ab einem gewissen Zeitpunkt entwickelten sich einfache Einzeller zu komplexeren Lebensformen, wirbellose Tiere zu Wirbeltieren und so weiter. Die Weiterentwicklung des Zentralnervensystems brachte das Gehirn hervor, bis hin zum menschlichen Gehirn und dem Bewusstsein. Wir sind Materie, die sich ihrer selbst bewusst geworden ist.

Alle Entdeckungen der Wissenschaften untermauern diese Erklärung. Aber für den Idealismus bleibt das ein Buch mit sieben Siegeln. Alle Formen des Idealismus sind untrennbar mit der Religion verbunden und führen ohne Ausnahme zu ihr zurück.

Trotzki schrieb kurz vor seiner Ermordung darüber:

«’Wir wissen über die Welt nichts als das, was uns die Erfahrung lehrte.’ Dies stimmt, wenn man Erfahrung nicht als die direkte Wahrnehmung durch unsere individuellen fünf Sinne versteht. Wenn wir Materie auf Erfahrung im engen empiristischen Sinn beschränken, ist es uns nicht möglich, jemals etwas über den Ursprung der Arten, oder noch weniger über die Bildung der Erdkruste zu wissen. Zu sagen, die Erfahrung ist Grundlage für alles, heißt, zu viel zu sagen oder gar nichts. Erfahrung ist ein aktives Wechselverhältnis zwischen Subjekt und Objekt. Erfahrung außerhalb dieser Kategorie zu analysieren – das heißt außerhalb der objektiven materiellen Umgebung des Beobachters, der dieser gegenübersteht aber aus einer anderen Perspektive Teil dieser Umgebung ist –, das zu tun, bedeutet die Erfahrung in eine formlose Einheit aufzulösen, wo es weder Objekt noch Subjekt gibt, sondern nur den mystischen Lehrsatz der Erfahrung. „Erfahrung“ oder „Erleben“ dieser Art kommt nur bei Säuglingen im Mutterleib vor, doch leider hat ein Säugling keine Möglichkeit, die wissenschaftlichen Schlüsse seines Experiments mit jemandem zu teilen.»
(L. Trotzki, Writings of Leon Trotzki, 1939-40, S. 403, eigene Übersetzung)

Es ist eben diese kollektive Erfahrung, die es uns ermöglicht, das, was wir über die Welt wissen, richtig einzuordnen, die Informationen, die wir durch die Sinne erhalten genau und wissenschaftlich zu beurteilen und Schlüsse zu ziehen, die es uns erlauben, korrekte Vorhersagen über die physische Welt und die Gesellschaft zu ziehen.

Wissen ist demnach nicht auf die enge Sphäre der individuellen Sinneswahrnehmung beschränkt, denn um diese begrenzte Information aus meiner individuellen Erfahrung zu verstehen, muss ich die große Menge an Informationen zu Rate ziehen, die von Generation zu Generation in Form theoretischer Abstraktionen weitergegeben wird.

Das Wort Abstraktion selbst kommt vom lateinischen „Abziehen“, was deutlich zeigt, dass alle theoretischen Verallgemeinerungen (bis hin zu den abstraktesten mathematischen Formeln) letztlich aus den Beobachtungen der physischen Welt abgeleitet sind. Wir zählen bis zehn, nicht weil das Dezimalsystem allen anderen überlegen ist (das ist es nicht), sondern nur, weil wir zehn Finger haben, die wir bis heute abzählen, um einfache Summen zu bilden.

Sind diese Abstraktionen erst einmal etabliert, scheinen sie sich zu verselbstständigen und bilden ein mächtiges Werkzeug, um die Welt zu verstehen. Sie sind ein unverzichtbares Werkzeug für den Fortschritt der Wissenschaft, der durch die dialektische Einheit von Deduktion und Induktion, von Theorie und Praxis, von wissenschaftlicher Hypothese mit der Beobachtung und dem Experiment verwirklicht wird. Eines ohne das andere ist undenkbar.

Der physische Ursprung des Bewusstseins

Der Fortschritt der Wissenschaft hat uns die Antworten geliefert, die den physischen Ursprung des Bewusstseins erklären. Wir wissen, dass organische Materie (Leben) natürlich aus der unbelebten Materie hervorgeht. Schon die frühesten Formen von Leben zeigen Anzeichen von Empfindungsvermögen. Reizbarkeit findet man in allen Formen des Lebens und sie ist die Art und Weise, wie lebende Organismen auf physische Reize der Außenwelt reagieren.

Sogar bei Pflanzen gibt es ein ähnliches Phänomen, etwa wenn Blumen sich der Sonne zuwenden. Worauf reagieren sie dabei? Nicht auf „Sinnesdaten“, denn Pflanzen haben keine Sinne als solche. Sie reagieren auf externe Reize aus der physischen Welt. Das ist bei allen lebenden Organismen der Fall, die immer auf Impulse von außen reagieren.

Wir wissen heute, dass sich die Aktivität der Nervenzelle elektrisch und chemisch vollzieht. Am Ende jeder Nervenzelle befindet sich ein spezialisierter Bereich, die Synapsenendknöpfchen, die eine große Menge winziger Membranbläschen voller Neurotransmitter enthalten. Diese chemischen Botenstoffe übertragen Nervenimpulse von einer Nervenzelle zur nächsten. Nachdem der elektrische Nervenimpuls das Neuron entlanggewandert ist, erreicht er die Präsynaptische Endigung und setzt die Neurotransmitter aus ihren Bläschen frei.

Die Neurotransmitter wandern die Synapse (die Verknüpfung der Neuronen zueinander) entlang und setzen die Bildung eines elektrischen Signals in Gang, das den Nervenimpuls weiterträgt. Dieser Prozess wiederholt sich immer wieder, bis ein Muskel entspannt oder bewegt wird oder das Gehirn eine Sinneswahrnehmung registriert. Diese elektrochemischen Ereignisse können als die „Sprache“ des Nervensystems betrachtet werden, durch die Informationen von einem Bereich des Körpers in einen anderen übertragen werden.

Diese wissenschaftliche Erklärung räumt sofort auf mit der mystisch-idealistischen Sichtweise auf das Denken und das Bewusstsein als etwas Mysteriöses und Unerklärliches, etwas, das von den normalen Abläufen der Natur und anderen Körperfunktionen getrennt sei. Diese wiederum werden in Wechselwirkung mit der materiellen Umwelt durch kollektive gesellschaftliche Arbeit geformt und entwickelt.

Die Evolution hat verschiedene Wege hervorgebracht, um auf die physische Umwelt zu reagieren, um das Überleben des Individuums (Nahrung) und der Gattung (Fortpflanzung) sicherzustellen. So wie wir sogar mit den einfachsten Bakterien einige Gene teilen, teilen wir auch diese gemeinsame Fähigkeit. Aber beim Menschen hat diese bloße Möglichkeit eine von den restlichen Tieren qualitativ andere Stufe angenommen.

Man könnte sagen, dass bei Katzen, Hunden, Pferden und anderen höheren Säugetieren so etwas Ähnliches wie Bewusstsein vorliegt. Auf jeden Fall haben Experimente an Schimpansen gezeigt, dass sie eine Art Selbstbewusstsein besitzen könnten. Es könnte sogar möglich sein, Elemente, die dem Bewusstsein ähneln, in niederen Formen des Lebens, wie Vögeln oder sogar Ameisen nachzuweisen.

Aber je weiter wir uns dabei vom Menschen entfernen, desto weniger haben diese Phänomene mit Selbstbewusstsein zu tun. Es handelt sich dabei um empfindungsfähige Lebensformen und nicht um Bewusstsein. Daher ist es nicht möglich, das menschliche Bewusstsein mit dem von anderen Tieren gleichzusetzen.

Jedem, der sich für die modernen Wissenschaften zumindest interessiert, sind diese Tatsachen bekannt. Nur Unwissenheit oder der Wunsch, die Fakten um jeden Preis zu ignorieren und religiöse Vorurteile und Aberglaube zu verteidigen, kann eine Person dazu bewegen, sie zu leugnen.

Im richtigen Kontext betrachtet, hat der menschliche Geist nichts Mystisches an sich. Dennoch haben Philosophen Verwirrung in diese Frage gebracht, indem sie, in einigen Fällen ganz bewusst, die Tatsachen verdrehen, falsch interpretieren und ignorieren, um mit religiösen und mystischen Ideen hausieren zu gehen.

Empirismus

Der Beginn dieser Verwirrung in der Erkenntnistheorie liegt im 17. Jahrhundert, als die Menschheit dabei war, sich vom religiösen Obskurantismus des Mittelalters zu befreien. Ein wichtiger Schritt in diesem Kampf war die Entwicklung des Empirismus in England.

In seinen Anfängen spielte der Empirismus eine äußerst fortschrittliche und revolutionäre Rolle. Er richtete sich gegen die Kirche und für die Freiheit der Wissenschaft und verkündete die Überlegenheit von Beobachtung und Experiment gegenüber dem Dogma. Die frühen Empiristen (Bacon, Locke und Hobbes) waren Materialisten. Wie bereits erwähnt, lautete ihr Schlachtruf „Nihil est in intellectu quod non sit prius in sensu„. („Nichts ist im Verstand, was nicht vorher in den Sinnen gewesen wäre.“)

Ihr Beharren auf der Sinneswahrnehmung als Grundlage jeden Wissens stellte damals einen riesigen Schritt vorwärts dar gegenüber der leeren Spekulation der mittelalterlichen Gelehrten. Das ebnete den Weg für die rasche Ausdehnung der Wissenschaft, die auf empirischen Untersuchungen, Beobachtungen und Experimenten beruhte.

Doch obwohl diese frühe Form des Materialismus einen ungeheuer revolutionären Charakter hatte, war sie einseitig, begrenzt und daher unvollständig.

In der Aussage, dass es im Verstand nichts gäbe, was nicht aus der Wahrnehmung abgeleitet sei, ist eine zutiefst richtige Idee enthalten. Das ist Materialismus. Aber die Einseitigkeit des Empirismus öffnet die Tür für den subjektiven Idealismus, der die Existenz der vom Beobachter unabhängigen, materiellen Realität leugnet.

Auf so konfuse Weise dargelegt, hatte diese Idee die schädlichsten Folgen in der weiteren Entwicklung der Philosophie. Die bedeutenden Erkenntnisse der frühen englischen Materialisten Hobbes und Locke wurden von dem oberflächlichen Epigonen David Hume abgelöst, der später einen negativen Einfluss auf die Philosophie von Kant ausübte. In Bischof Berkeley fand diese Form des subjektiven Idealismus ihren konsequentesten Vertreter.

Dieser einseitige Empirismus ist ein subjektiver Idealismus und hat in verschiedensten Verkleidungen immer wieder sowohl die moderne bürgerliche Philosophie als auch die Wissenschaft beeinflusst. Eine besonders schädliche Variante ist der sogenannte Logische Positivismus. Unter dem Einfluss dieser Ideen leugnete der österreichische Wissenschaftler Ernst Mach, den Lenin im vorliegenden Buch einer gründlichen Analyse unterzieht, die Existenz von Atomen, da man sie weder sehen, fühlen noch hören könne.

Subjektiver Idealismus: Ein philosophischer Schwindel

Auf den ersten Blick scheinen die Argumente des subjektiven Idealismus über eine unbestreitbare Logik zu verfügen. Und er ist in der Tat unmöglich zu widerlegen, sobald man die Eingangsprämisse akzeptiert. Doch man kann eine solche Prämisse nicht annehmen, ohne in die absurdesten Widersprüche zu geraten, wie Bischof Berkeley selbst bald herausfand.

In Wirklichkeit handelt es sich um einen intellektuellen Schwindel, das philosophische Äquivalent zu einem Taschenspielertrick. Das Argument beginnt mit der folgenden Prämisse: „Ich erkenne die Welt durch meine Sinne.“ Diese Aussage ist soweit wahr und unwiderlegbar. Nur durch meine Sinne kann ich Wissen über die Welt erlangen. Aber wie bereits erläutert, müssen wir dem noch eine weitere Aussage hinzufügen: Die Welt existiert unabhängig von meinen Sinnen. Ansonsten geraten wir in die absurdesten Widersprüche.

Die gesamte Wissenschaft basiert genau auf der Tatsache, dass

a.) die Welt außerhalb von uns existiert und

b.) wir sie im Prinzip verstehen können.

Den Beweis für diese Behauptungen, wenn denn einer nötig sein sollte, liefern über 2000 Jahre des Fortschrittes in der Wissenschaft, d. h. der ständigen Zunahme des Wissens gegenüber der Unwissenheit.

Das englische Wort «science» (Wissenschaft) selbst kommt vom lateinischen Wort «wissen», während das gegenteilige Wort Ignoranz lediglich das lateinische Wort für Nicht-Wissen ist. Natürlich gibt es viele Dinge, die wir über das Universum nicht wissen. Aber die gesamte Geschichte der Wissenschaft beweist, dass wir das, was wir heute nicht wissen, morgen wissen werden. Es ist diese ständige Suche nach der Wahrheit, die die treibende Kraft für jeden Fortschritt im Bereich des Denkens und der Ideen ist. Wie Lenin schreibt:

«In der Erkenntnistheorie muss man, ebenso wie auf allen anderen Gebieten der Wissenschaft, dialektisch denken, d. h. unsere Erkenntnis nicht für etwas Fertiges und Unveränderliches halten, sondern untersuchen, auf welche Weise das Wissen aus Nichtwissen entsteht, wie unvollkommenes, nicht exaktes Wissen vollkommener und exakter wird.» (W.I. Lenin, Werke, Bd. 14, S. 96.)

Logischer Positivismus

Das Wiederauferstehen lange toter Ideen in neuem Gewande spiegelt zum einen die Krise der kapitalistischen Ideologie wieder. Zum anderen zeigt es auch das philosophischen Vakuum, das von der Tatsache herrührt, dass der Marxismus für eine ganze historische Periode nach dem 2. Weltkrieg zurückgeworfen wurde.

Lenins Buch hat 1909 den subjektiven Idealismus von Mach und Avenarius gründlich zerstört. Aber der subjektive Idealismus ist heute trotzdem sehr lebendig. Mit einem gezielten Tritt in den Hintern zur Tür hinausgeworfen, schlich er sich einfach unbeobachtet hinten herum und durch ein Seitenfenster wieder hinein.

Dieser subjektive Idealismus wurde von der durch Ernst Mach vertretenen Schule und später vom Wiener Kreis (O. Neurath, Carnap, Schlick, Frank und andere) sowie dem logischen Positivismus in die Philosophie des 20. Jahrhunderts weitergetragen. In Großbritannien wurde er von Professor A. J. Ayer vertreten, dessen Buch Sprache, Wahrheit und Logik (Language, Truth and Logic) in den 1960er Jahren Einfluss an den Universitäten hatte.

Das einzige gesicherte Wissen, das wir haben können – so die Grundthese von Ayers Buch – sind die von ihm so genannten „Sinnesdaten“. In den ersten Kapiteln seines Buchs entwickelt er diese These und wiederholt sie auf unterschiedliche Weise, sodass der Eindruck einer unzweifelhaften logischen Ableitung entsteht. Aber die ganze Konstruktion bricht in dem Moment zusammen, in dem er versucht zu erklären, was denn diese Sinnesdaten nun eigentlich ausmacht.

Wir können die Frage sehr einfach stellen, so, dass sogar ein Universitätsprofessor sie verstehen kann: Kann es Sinnesdaten ohne Augen, Ohren und ein materielles Gehirn geben? Kann es ein materielles Gehirn ohne ein zentrales Nervensystem und einen materiellen Körper geben? Und kann es einen materiellen Körper geben, ohne dass es eine physische Umgebung gibt, die ihn mit den für seine Existenz notwendigen Lebensmitteln versorgt?

Selbstverständlich wird keine dieser Fragen beantwortet oder überhaupt gestellt. Wie üblich setzt der Autor voraus, was zu beweisen wäre und schlussfolgert dann, es bewiesen zu haben! Trotz all seiner „cleveren“ und raffinierten Erscheinung, ist dies eine Denkweise, die im wahrsten Sinne des Wortes kindisch ist. So wie ein Baby weint, wenn seine Mutter das Zimmer verlässt, weil sie scheinbar zu existieren aufgehört hat.

Diese falschen und schädlichen Ideen verkörpern die Weltanschauung der kleinbürgerlichen Intellektuellen, für die alles mit „Ich“ beginnt und endet. „Mein Geschäft, meine Karriere, meine Individualität, meine Gefühle, meine Unterdrückung, meine Erfahrung, mein Kampf gegen diese ungerechte Welt, die mich nicht versteht“ und so weiter und so fort. „Wenn sich die Welt nicht nach mir richtet, stimmt etwas mit der Welt nicht.“

Das fasst die Weltsicht der kleinbürgerlichen Intelligenz zusammen und bestimmt ihre gesamte Psychologie. Es ist kaum überraschend, dass der subjektive Idealismus ihren natürlichen philosophischen Lebensraum bildet. Er übt auf den kleinbürgerlichen «Denker» die gleiche Faszination aus wie ein Honigtopf auf eine Fliege.

Selbst vom Standpunkt der Nützlichkeit aus muss man sagen, dass diese Theorie absolut unbrauchbar ist. Sie kann unser Wissen um keinen Millimeter voranbringen. Welchen Unterschied macht es für einen Chemiker in seinem Labor, wenn er den Chemikalien in seinem Reagenzglas die objektive Existenz abspricht oder sie als Sammlung bloßer Sinnesdaten bezeichnet?

Schließlich muss er immer noch seine Experimente durchführen, um herauszufinden, worin die Realität dieser «unwirklichen» Objekte besteht. Und: Nachdem Professor Ayer den ganzen Tag damit verbracht hat, die Objektivität der Materie zu leugnen, hat er sich vermutlich nicht geweigert, sein Abendessen zu essen, mit der Begründung, es würde nicht existieren.

Unsere Freunde des logischen Positivismus werden diese Argumente zweifellos als „naiven Realismus“ zurückweisen – so nennen sie den Materialismus. Sie verwenden diese Bezeichnung als Abwertung, mit der sie jede Kritik zurückzuweisen suchen. Wir für unseren Teil bevorzugen dieselbe schlichte Sprache zu verwenden, die Lenin benutzte, als er die subjektiven Idealisten einfach als Wirrköpfe bezeichnete. Das ist eine angemessene Beschreibung von Leuten, die versuchen, lächerliche Annahmen als ernsthafte Argumente vorzubringen.

In Materialismus und Empiriokritizismus zeigt Lenin, dass der subjektive Idealismus unausweichlich zum Solipsismus führt. Die meisten logischen Positivisten versuchen die Anschuldigung des Solipsismus einfach beiseite zu wischen, sie entrüstet zu leugnen, die Sache mit allerlei kompliziertem und konfusem Jargon zu verwirren oder sie einfach als Witz abzutun.

Aber wir warten immer noch auf ihre Antwort.

Der britische Philosoph Bertrand Russell traf einmal eine Dame auf einer Party, die ihn darüber informierte, dass sie Solipsistin sei und sich wundere, warum es nicht mehr von ihnen gebe. Diese amüsante Anekdote enthüllt klar die inneren Widersprüche des subjektiven Idealismus. Der Witz von Bertrand Russell kann jedoch das philosophische Problem der Erkenntnis nicht beseitigen. Es muss philosophisch, d.h. theoretisch, beantwortet werden. Marx tat dies in den Thesen über Feuerbach und Lenin noch umfassender in Materialismus und Empiriokritizismus.

Jahrzehntelang präsentierten die Verfechter des logischen Positivismus ihre Ideen arroganterweise als „Wissenschaftsphilosophie“. Ironischerweise waren sie es, die dem Dialektischen Materialismus (ohne jegliche Grundlage) vorwarfen, die „Königin aller Wissenschaften“ sein zu wollen.

Mit dem natürlichen Fortschritt der Wissenschaften wird die offene Unterstützung des subjektiven Idealismus – wie vor ihm der Religion – immer unhaltbarer. Und trotzdem üben die Ideen (oder besser gesagt, die Vorurteile) des subjektiven Idealismus paradoxerweise immer noch einen starken Einfluss auf das Denken vieler Wissenschaftler aus, die in ihrer Studentenzeit dem halbgaren Unsinn des logischen Positivismus ausgesetzt waren und sich von dieser Erfahrung nie erholt haben.

Wie Marx und Engels die Frage stellten

In Ludwig Feuerbach postuliert Engels, dass die zentrale Grundfrage der gesamten Philosophie, insbesondere der modernen Philosophie, jene nach dem Verhältnis vom „Denken zum Sein“, vom „Geist zur Natur“ ist. Er geht dann auf die wichtigste Frage in der Philosophie ein: Der Theorie der Erkenntnis.

Engels fragt:

«Wie verhalten sich unsere Gedanken über die uns umgebende Welt zu dieser Welt selbst? Ist unser Denken imstande, die wirkliche Welt zu erkennen, vermögen wir in unsern Vorstellungen und Begriffen von der wirklichen Welt ein richtiges Spiegelbild der Wirklichkeit zu erzeugen?» (Friedrich Engels, Ludwig Feuerbach und der Ausgang der klassischen deutschen Philosophie, MEW Band 21, 1962, S. 275.)

«Diese Frage heißt in der philosophischen Sprache die Frage nach der Identität von Denken und Sein und wird von der weitaus größten Zahl der Philosophen bejaht» sagt Engels, darunter nicht nur alle Materialisten, sondern auch die konsequentesten Idealisten wie Hegel, der die reale Welt für die Verwirklichung einer mystischen «absoluten Idee» hielt.

«Daneben gibt es aber noch eine Reihe andrer Philosophen, die die Möglichkeit einer Erkenntnis der Welt oder doch einer erschöpfenden Erkenntnis bestreiten. Zu ihnen gehören unter den neueren Hume und Kant, und sie haben eine sehr bedeutende Rolle in der philosophischen Entwicklung gespielt.» (ebd. S. 276.)

Wir sehen also, dass es in der Philosophie eigentlich drei Strömungen gibt: zwei konsistente oder monistische Tendenzen – Materialismus und Idealismus – und eine inkonsistente Tendenz, die zwischen empirischem Materialismus und subjektivem Idealismus schwankt. Die letztgenannte Denkrichtung fand ihren stärksten Ausdruck in der Philosophie von Immanuel Kant. Hume und Kant, die eigentlichen Vorfahren des logischen Positivismus, tendierten beide dazu, die «Erscheinung» von dem, was erscheint, die Wahrnehmung von dem, was wahrgenommen wird, das «Ding für uns» vom «Ding an sich» zu trennen.

Kant erkannte die Existenz der materiellen Welt an, aber er versuchte hinter der Welt der Erscheinung eine Grenze zu errichten, das „Ding-an-sich“. Dieses definierte er als “unerkennbar” – es sei etwas grundlegend von der Erscheinung Unterschiedenes, das dem „Jenseits“ angehöre und dem Wissen unzugänglich sei, sich aber dem Glauben offenbare.

Die Sinneswahrnehmung tritt hier als dritter Faktor auf, der die externe Welt vom wahrnehmenden Subjekt (dem Ich) trennt. Die Wahrnehmung erscheint hier als Hindernis zur wirkliche Erkenntnis, statt als Brücke zum Verständnis und damit zu Beherrschung der realen, physischen Welt.

Der Trick von Kant war es, das Unerkennbare und das Unerkannte zu vermischen. In Wirklichkeit wird das „Ding-an-sich“ durch den ständigen Fortschritt des menschlichen Bewusstseins, von Wissenschaft, Industrie und Technologie allmählich zu einem „Ding-für-uns“. Durch diesen Fortschritt wird das, was gestern noch unbekannt war, heute erkannt oder wird morgen gewusst werden.

Für Marxisten sind die menschlichen Ideen und Begriffe letztlich nichts anderes als Widerspiegelungen der materiellen Welt. Der Wahrheitsgehalt dieser Widerspiegelungen wird auf der Grundlage der menschlichen Tätigkeit geprüft und die Ideen gegebenenfalls angepasst.

Der materialistische Standpunkt

Der mechanische Materialismus war schon lange zuvor unfähig dieses Problem zu lösen und zu einem wissenschaftlichen Verständnis der wirklichen Beziehung zwischen Subjekt und Objekt zu gelangen. Das erörtert Marx in den Thesen über Feuerbach. Dieser frühe Materialismus wurde durch den Erkenntnisstand der damaligen Wissenschaften beschränkt, die einen sehr starren und mechanischen Charakter hatten (Engels nannte dies „metaphysische Anschauung“, obgleich wir das Wort metaphysisch heute anders verwenden).

Die Mechanik sieht die Beziehung zwischen Subjekt und Objekt auf eine vereinfachte, statische und einseitige Art und Weise: Stoßen, Ziehen, Hebel, Flaschenzug usw. Jede Bewegung ist ein Impuls von außen. Newtons mechanisches Universum musste durch einen Anstoßes vom Allmächtigen in Bewegung gesetzt werden, aber danach funktionierte es perfekt, wie ein Uhrwerk. Die Beziehung war passiv und einseitig.

In diesem uhrwerkartigen Universum gibt es wenig oder gar keinen Raum für subjektive Tätigkeit und kreative Entschlusskraft. Das ewige Gesetz der Natur hat jede Handlung vorbestimmt.

Im Gegensatz dazu übertrieben die Idealisten die Rolle des Subjekts und betrachteten es als das Allerwichtigste. Sogar die Existenz des Objekts wurde von ihnen aus dem Subjekt abgeleitet. Die Vorstellung von der Tätigkeit des Subjekts wurde von dem objektiven Idealisten Hegel festgehalten und entwickelt. Das meinte Marx, als er sagte, dass die subjektive Seite von den Idealisten entwickelt wurde, nicht von den Materialisten. Die Zusammenführung der beiden Elemente, der Vorstellung von der Tätigkeit des Subjekts der Idealisten und jene der Objektivität der materiellen Welt, war der Schlüssel zur Lösung des Problems.

Die Argumente des subjektiven Idealismus und des Subjekt-Objekt-Problems sind schnell beantwortet, wenn wir den Standpunkt der Praxis einnehmen und uns der Erkenntnistheorie unter einem konkreten historischen Gesichtspunkt aus nähern statt vom Standpunkt einer leeren und statischen Abstraktion. Das stellt Marx in der zweiten seiner Thesen über Feuerbach fest:

«Die Frage, ob dem menschlichen Denken gegenständliche Wahrheit zukomme – ist keine Frage der Theorie, sondern eine praktische Frage. In der Praxis muss der Mensch die Wahrheit, i.e. die Wirklichkeit und Macht, Diesseitigkeit seines Denkens beweisen. Der Streit über die Wirklichkeit oder Nichtwirklichkeit des Denkens – das von der Praxis isoliert ist – ist eine rein scholastische Frage.” (Karl Marx, MEW, Bd. 3, S. 5ff.)

Letztendlich ist die Geschichte der Wissenschaft selbst ein Beweis für den Materialismus. Die Menschheit betrachtet die Natur nicht einfach, sondern transformiert sie aktiv und diese rastlose produktive Tätigkeit ist es, was Zeugnis über die Richtigkeit oder Unrichtigkeit von Ideen ablegt, wie Engels erklärt:

«Die schlagendste Widerlegung dieser wie aller andern philosophischen Schrullen ist die Praxis, nämlich das Experiment und die Industrie. Wenn wir die Richtigkeit unsrer Auffassung eines Naturvorgangs beweisen können, indem wir ihn selbst machen, ihn aus seinen Bedingungen erzeugen, ihn obendrein unsern Zwecken dienstbar werden lassen, so ist es mit dem Kant’schen unfassbaren ‘Ding an sich’ zu Ende. Die im pflanzlichen und tierischen Körper erzeugten chemischen Stoffe blieben solche ‘Dinge an sich’, bis die organische Chemie sie einen nach dem andern darzustellen anfing; damit wurde das ‘Ding an sich’ ein Ding für uns» (Friedrich Engels, MEW, Bd. 21, S. 276.)

Eine Periode des Niedergangs

In der Periode ihres historischen Aufstiegs spielte die Bourgeoisie eine äußerst fortschrittliche Rolle. Nicht nur indem sie die Produktivkräfte entwickelte und damit die Macht der Menschheit über die Natur gewaltig steigerte, sondern auch durch die Ausweitung von Wissenschaft, Erkenntnis und Kultur.

Luther, Michelangelo, Leonardo, Dührer, Bacon, Kepler, Galilei und viele andere Wegbereiter der Zivilisation strahlen hell wie eine Galaxie und beleuchten die breite Straße des kulturellen und wissenschaftlichen Fortschritts der Menschheit, die durch Reformation und Renaissance eröffnet wurde.

In seiner Jugend war das Bürgertum in der Lage, große Denker hervorzubringen: Locke, Hobbes, Kant, Hegel, Adam Smith und Ricardo. In der Zeit seines Niedergangs reicht es nur mehr für Haarspalter.

Die letzte große Welle solcher Ideen kam in den 70er, 80er und 90er Jahren als Reaktion auf die Niederlagen einer weltweiten Reihe von Revolutionen. Diese Niederlagen wurden durch den Zusammenbruch der Sowjetunion noch verstärkt. Das führte zum Wachstum der Schule des Postmodernismus, die postmoderne Philosophie umfasst genauso wie den Poststrukturalismus den Postkolonialismus, die Queer-Theorie und eine ganze Reihe sogenannter identitätspolitischer Theorien.

Aber während Mach und Avenarius, wie Lenin brillant gezeigt hat, schlechte Kopien von Berkeley, Kant und Hume waren, sind die postmodernen Genies von heute schlechte Kopien von schlechten Kopien. Sie versuchen verzweifelt, originell zu erscheinen, und ihre Stümperhaftigkeit zu verbergen, indem sie ihre Werke mit unverständlicher, verworrener und absichtlich zweideutiger Sprache vollstopfen.

Man sagt, es gibt nichts Neues unter der Sonne. Die gesamte Geschichte der bürgerlichen Philosophie unserer Zeit bestätigt diese Aussage. Jede einzelne philosophische Schule der letzten 150 Jahre ist auf die eine oder andere Weise lediglich eine Wiederholung der irrationalen Ideen des subjektiven Idealismus – der gröbsten, absurdesten und sinnlosesten Spielart des Idealismus.

Die neueste postmoderne Modeerscheinung ist nur eine weitere dieser Varianten. Sie erfüllt die Aufgabe eine ganze Generation von Philosophiestudenten an den Universitäten zu verwirren und zu desorientieren. Sie bilden sich ein, etwas völlig Neues und Neuartiges entdeckt zu haben, während sie in Wirklichkeit nur die Absurditäten früherer Philosophien wiederholen, die bereits 1908 von Lenin umfassend widerlegt wurden. Hier haben wir den eindrucksvollsten Beweis für den gefeierten Ausspruchs von Marx: «Das gesellschaftliche Sein bestimmt das Bewusstsein».

Die Degeneration der bürgerlichen Philosophie ist ein Spiegelbild der Sackgasse des kapitalistischen Systems selbst. Ein System, das irrational geworden ist, muss sich auf irrationale Ideen stützen. In ihrem Bemühen, sich selbst zu erhalten, hat sich die Bourgeoisie gegen ihre eigene revolutionäre Vergangenheit gewandt. Indem sie sich gegen die besten Traditionen der Aufklärung wendet, klammert sich der Kapitalismus immer stärker an die modernen Nachfahren des feudalen Mystizismus und der Scholastik.

Ein Mensch, der am Abgrund steht, ist nicht zu rationalem Denken fähig. Auf eine vage Art und Weise spüren die Ideologen der Bourgeoisie, dass das von ihnen verteidigte System an sein Ende kommt. Die Ausbreitung irrationaler Strömungen, von Mystizismus und religiösem Fanatismus, spiegeln das Gleiche wider.

Heutzutage sind die subjektiven Idealisten auf ein verzweifeltes Rückzugsgefecht beschränkt, das auf die völlige Auflösung der Philosophie hinausläuft und sie ganz auf die Semantik reduziert (das Studium der Bedeutung von Worten).

Die endlosen Diskussionen über Bedeutung und Semantik und die Feinheiten der Bedeutungen erinnern an die langwierigen Debatten der mittelalterlichen Gelehrten über so faszinierende Themen wie die Frage, ob Engel ein Geschlecht hätten und wie viele von ihnen auf einem Nadelkopf tanzen können. Das Problem ist, dass sie in ihrer Besessenheit von der Form den Inhalt völlig vergaßen. Solange die formalen Regeln befolgt wurden, konnte der Inhalt noch so absurd sein.

Marx bemerkte einmal: «Philosophie und Studium der wirklichen Welt verhalten sich zueinander wie Onanie und Geschlechtsliebe.» (K. Marx und F. Engels, MEW, Bd. 3, S. 218.) Die moderne bürgerliche Philosophie zieht das Erstere dem Letzteren vor. In ihrer Besessenheit, den Marxismus (und den Materialismus im Allgemeinen) zu bekämpfen, wurde die Philosophie in die schlimmste Zeit ihrer alten, überholten und sterilen Vergangenheit zurückgezerrt.

Die Tatsache, dass all dieses Getue und Gefummel, dieses Spiel mit Worten überhaupt als Philosophie bezeichnet werden konnte, ist ein Beweis dafür, wie tief das moderne bürgerliche Denken gesunken ist. Hegel schrieb in der Phänomenologie des Geistes: «An diesem, woran dem Geiste genügt, ist die Größe seines Verlustes zu ermessen.» Das wäre eine passende Grabinschrift für die gesamte bürgerliche Philosophie nach Hegel und Marx.

In der gegenwärtigen Periode kommt der revolutionären Avantgarde der Arbeiterklasse, den Marxisten, die Ehre zuteil, gegen den Strom zu kämpfen, das mystische und irrationale Denken zu bekämpfen. Um noch einmal die Worte von Joseph Dietzgen zu zitieren: «Die Philosophie ist keine Wissenschaft, sondern ein Schutzwall gegen die Sozialdemokratie.» (Damals bezeichneten sich die Marxisten als Sozialdemokraten.)

Und er fügte hinzu: «Dann ist es kein Wunder, dass die Sozialdemokraten ihre eigene Philosophie haben.» Diese Philosophie – die Philosophie des Marxismus – heißt dialektischer Materialismus. Sie bleibt eine der wichtigsten Waffen in unserem revolutionären Arsenal.

Jeder, der verstehen will, wie man diese Waffe richtig einsetzt, sollte es als seine Pflicht betrachten, einen der grundlegendsten Texte aus dem reichen Arsenal des marxistischen Denkens, Materialismus und Empiriokritizismus, nicht nur zu lesen, sondern sorgfältig zu studieren.

London, 16. Dezember 2020, Alan Woods, IMT

 

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