Sektiererische Unruhen in Irland: Ein schlechtes Ende für einen schlechten Frieden

In der vergangenen Woche kam es im Norden Irlands zu den schlimmsten Ausschreitungen seit Jahren. Angeblich auf Grund des Protokolls zu Nordirland, das die Regierung in Westminster mit der EU unterzeichnet hat. Aber die Bedrohung durch loyalistische Gewalt liegt schon seit Monaten in der Luft, da sich die Spannungen seit Inkrafttreten des Protokolls im Januar verschärft haben.


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Innerhalb weniger Wochen haben Loyalisten (politische Kräfte, die Teil des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland bleiben wollen) Todesdrohungen gegen Hafenarbeiter ausgesprochen, die Kontrollen an der irischen Seegrenze durchführen. Anfang März gingen die wichtigsten loyalistischen paramilitärischen Gruppen – die Ulster Volunteer Force (UVF), die Ulster Defence Association (UDA) und das Red Hand Commando – den Schritt und kündigten an, das Karfreitagsabkommen nicht mehr zu unterstützen.

Nach all ihren Drohungen haben die loyalistischen Paramilitärs nun die Zähne gefletscht. Der unmittelbare Anlass für die Ausschreitungen war die Weigerung der Staatsanwaltschaft, Anklage gegen hochrangige Sinn Féin-Politiker zu erheben. Diese sollen angeblich gegen COVID-Beschränkungen verstoßen haben, als sie am 30. Juni 2020 an der Beerdigung des altgedienten Republikaners Bobby Storey teilnahmen.

Die Loyalisten behaupteten, dies sei ein Fall von "Zwei-Klassen-Polizeiarbeit", wobei Nationalisten mit übermäßiger Nachsicht behandelt würden. In Wahrheit wurden die Katholiken von der Polizei bei den COVID-Beschränkungen hart angegangen. Währenddessen wurden die loyalistischen Paramilitärs mit regelmäßiger Nachsicht behandelt.

Nichtsdestotrotz war dies der Auslöser für loyalistische Ausschreitungen, die nun schon seit einer Woche andauern. Die Zahl der Beteiligten ist klein. Es sind Gruppen von ein paar Dutzend bis ein paar hundert protestantischen Jugendlichen. Es sind unverhältnismäßig viele Teenager im Alter von 12 bis 18 Jahren.

Ein wichtiges Detail, nämlich die massenhaften Textnachrichten und Warnungen an Unternehmen, zeigt deutlich, dass dies keine spontane Angelegenheit ist. Hinter den entfremdeten, desillusionierten Jugendlichen stehen auf die eine oder andere Weise organisierte Paramilitärs.

In der sechsten Nacht der Unruhen (7. April) nahmen die Ereignisse eine ernste Wendung. Es gab schockierende Szenen, als ein Doppeldeckerbus auf dem Lanark Way, abseits der Shankill Road, mit Benzinbomben beworfen und gekapert wurde. Der Fahrer des Busses wurde angegriffen und konnte glücklicherweise unverletzt entkommen. In der gleichen Nacht wurde ein Fotojournalist des Belfast Telegraph von hinten angegriffen.

Am unheilvollsten war, dass ein Auto in die Tore einer "Friedensmauer" am Lanark Way gerammt wurde, die die protestantische Gemeinde von der benachbarten katholischen Springfield Road trennt. Die Tore der "Friedensmauer" trugen ein ironisches Kunstwerk, auf dem stand: "Es gab nie einen guten Krieg oder einen schlechten Frieden". Die Ereignisse der letzten sieben Nächte sind genau das, was einen "schlechten Frieden" ausmacht.

Die hohle Behauptung, dass der Sektenkonflikt im Norden "gelöst" sei, wurde grausam entlarvt. Nichts ist gelöst worden. Das Karfreitagsabkommen hat alle Widersprüche im Norden Irlands unter die Oberfläche geschoben, wo sie eiterten, nur um erneut auszubrechen.

Sprengstoff, Feuerwerkskörper und Steine wurden bei dem Zusammenstoß an der Schnittstelle zwischen katholischen und protestantischen Gemeinden ausgetauscht. Katholische Jugendliche stellten sich natürlich zur Selbstverteidigung, denjenigen entgegen, die ihre Gemeinde beschossen. In den letzten paar Nächten kam es auch zu Zusammenstößen zwischen der Polizei und katholischen Jugendlichen. Jetzt haben wir gesehen, wie die "Zwei-Klassen-Polizei" wirklich aussieht: Der Police Service of Northern Ireland (PSNI) zögerte nicht, Wasserwerfer, die im Rest Großbritanniens verboten sind, gegen nationalistische Jugendliche einzusetzen.

Die loyalistischen Paramilitärs, die diese Gewalt ausgelöst haben, haben versprochen, dass noch mehr und noch viel Schlimmeres kommen wird. Sie haben deutlich gemacht, dass sie nicht mehr mit der Parades Commission (eine quasi-richterliche, nicht-ministerielle öffentliche Einrichtung, die für die Anordnung von Beschränkungen für alle Paraden in Nordirland zuständig ist) zusammenarbeiten werden, wenn die sogenannten „Orange walks“ vom Oranier-Orden, der eine Organisation radikaler Protestanten in Nordirland ist, organisiert werden.

Die Weigerung, mit der Polizei zu kooperieren, ist eine sehr provokative Geste. Es ist im Wesentlichen eine Drohung, durch gemischte und katholische Viertel in der Sommermarschsaison zu marschieren. Zu dieser Zeit bewegen sich die sektiererischen Spannungen jährlich auf ein Crescendo zu. Es ist eine Drohung, Verwüstung in der ganzen Region zu entfesseln.

Was ist die Logik der vergangenen Woche der Gewalt? An sich sind die loyalistischen Krawallmacher eine kleine Gruppe. Sie drohen jedoch damit, ein Streichholz in einen Haufen von sektiererischem Brandmaterial zu werfen, wenn sie nicht bekommen, was sie wollen.

Ihre zentrale Forderung ist die Abschaffung des Nordirland-Protokolls. Sie erpressen die Politiker in London, Dublin und Brüssel damit, dass sie, wenn sie nicht bekommen, was sie wollen, die Macht haben, Chaos zu stiften und die Region in die "schlechten alten Zeiten" zurückzuversetzen.

Eine Schöpfung des britischen Imperialismus

Die Schuld für das heutige Chaos auf den Straßen Irlands muss direkt dem britischen Imperialismus zugeschoben werden. Seit Jahrhunderten hat der britische Imperialismus das Sektierertum benutzt, um die irische Arbeiterklasse zu spalten.

Vor hundert Jahren peitschte er Pogrome auf und teilte Irland in zwei Hälften, um sein kurzfristiges Ziel zu erreichen. Er lebt immer noch mit dem Vermächtnis dieser Entscheidung. Nachdem sie die Kräfte des Sektierertums entfesselt hat, sind diese Kräfte nun außerhalb ihrer Kontrolle.

Die sich verschärfende Krise des britischen Kapitalismus heizt die Situation weiter an, und die loyalistischen Sektierer nutzen das aus, um ihre Unterstützung zu verstärken. Die Krise macht Millionen Menschen das Leben sehr schwer.

140.000 Kinder lebten schon vor der Krise im Norden in Armut. Arbeiter in beiden Gemeinschaften fühlen sich vergessen und zurückgelassen. Es herrscht ein Gefühl der Unsicherheit. Ein Gefühl, dass die Zukunft nichts Positives für arbeitende Menschen bereithält. Sektierer in protestantischen Gemeinden haben versucht, dieses allgemeine Gefühl der Verbitterung, Entfremdung und Unsicherheit in eine Belagerungsmentalität zu kanalisieren.

Sie warnen protestantische Arbeiter, dass sie von Feinden umgeben sind; dass die britische Regierung sie gerne gegen ihren Willen in ein vereinigtes Irland drängt; dass sie für sich selbst kämpfen müssen; dass sie in einem vereinigten Irland zu Bürgern zweiter Klasse zu werden drohen, usw. usf.

Aus der Krise des Kapitalismus heraus verschärft sich der Kampf um die Brotkrumen. In diesem giftigen Boden kann die Saat von Rassismus und Sektierertum keimen. In der Tat haben die unionistischen Politiker keine andere Wahl, als diese giftigen Samen zu düngen.

In den vergangenen Jahrzehnten konnten sie sich ihre Unterstützung mit wirtschaftlichen Zugeständnissen an eine Schicht protestantischer Arbeiter sichern. Aber im heutigen Klima der Austerität ist alles, was die Democratic Unionist Party (DUP) anbieten kann, sektiererische Angstmacherei. Ihr Ziel ist es, diese Belagerungsmentalität aufzubauen und sich dann als der beste Verteidiger der Protestanten und der Union darzustellen.

In diese bereits vergiftete Atmosphäre brachten die kurzsichtigen Vertreter des britischen Kapitalismus die Schwarz-Weiß-Wahl des Brexit-Referendums ein. Als die Tory-Partei aus den Fugen geriet, setzte David Cameron alles auf ein EU-Referendum im Jahr 2016 und hoffte, dass "Verbleib" gewinnen würde.

Je verzweifelter die britische Kapitalistenklasse wurde, desto mehr neigte sie zu wilden politischen Spielchen. Aber bis 2017 wurde keine einzige Rede gehalten, keine einzige Zeile geschrieben über die Folgen, die der Brexit in Irland haben würde. Man hat sich nicht die geringsten Gedanken darüber gemacht.

Im Norden Irlands stimmte eine Mehrheit der Katholiken für den Verbleib, während eine Mehrheit der Protestanten für den Austritt stimmte. Aber, wie in Schottland, stimmte eine Gesamtmehrheit für den Verbleib. Die Tories versprachen jedoch alle – auch Johnson – , dass das Vereinigte Königreich die EU als eine Einheit verlassen würde. Und dennoch lieferte Boris Johnson im Januar einen Brexit-Deal, der den Verbleib Nordirlands im gemeinsamen Markt vorsieht.

Irland war jedoch von Anfang an ein auf kapitalistischer Basis unmöglich zu lösendes Problem. Eine kapitalistische EU kann kein Loch in ihrer Grenze dulden. Wie "schwach" diese Grenze auch sein mag, sie muss ihren Binnenmarkt vor ihren Konkurrenten schützen. Deshalb braucht sie entweder eine Grenze in der Irischen See oder eine Grenze auf der Insel Irland.

Tatsächlich war es den englischen Nationalisten in den Reihen der Tory-Partei egal, was mit Irland geschah. Auch Boris Johnson schert sich nicht darum, wie man an seinen anfänglichen Versprechen, keine Seegrenze einzuführen, sehen kann... und an der Tatsache, dass er dann eine Seegrenze eingeführt hat.

Unvermeidlich wurde das NI-Protokoll von Hardline-Unionisten und Loyalisten mit dem Ruf "Verrat" beantwortet. Sogar Boris Johnson selbst, in seiner stümperhaften, demagogischen Art, hat sich einen Spaß daraus gemacht, das wirtschaftliche, soziale und politische Chaos, das das Protokoll in der kurzen Zeit seines Bestehens verursacht hat, als Knüppel zu benutzen, um die EU damit zu schlagen.

Die Tories waren glücklich, die DUP zu hofieren, wenn es ihnen passte; sie waren glücklich, den britischen Nationalismus und Unionismus aufzupeitschen, wenn es ihnen passte; sie waren glücklich, damit zu drohen, Artikel 16 anzuwenden und das NI-Protokoll auszusetzen, wenn es ihnen passte. Jetzt müssen sie einen Weg finden, um mit den Konsequenzen ihres Handelns zu leben.

Die Vorstellung, dass ihre Gemeinschaften zurückgelassen, ignoriert und verraten werden, wurde von den Unionisten gefördert und durch die Aktionen des britischen Imperialismus verstärkt. Jetzt nutzen die loyalistischen Paramilitärs diese Wut, um hitzköpfige, deklassierte Jugendliche zu mobilisieren, als Bedrohung für die Briten. Ihre Drohung ist einfach: Zieht euch aus dem NI-Protokoll zurück oder seht zu, wie wir ein Feuer in eurem Hinterhof legen.

Aber während die Briten versuchen könnten, die Verhandlungen mit der EU wieder aufzunehmen und die Regierung in Dublin versuchen könnte, einige Zugeständnisse zu vermitteln, bleibt das Brexit-Dilemma unlösbar. Entweder akzeptiert Boris die Seegrenze und das NI-Protokoll oder er lässt es fallen. Aber es zu verwerfen bedeutet, die Beziehungen mit der EU und den Vereinigten Staaten zu versauern, nur um die Seegrenze durch eine Landgrenze ersetzt zu sehen.

Boris ist natürlich notorisch dumm und kurzsichtig. Aber wegen der Notwendigkeit für die britischen Kapitalisten, einen gewissen Zugang zum EU-Markt zu behalten, ist es schwer vorstellbar, dass er sich den Forderungen der Loyalisten beugen wird. In diesem Fall wird ein Frontalzusammenstoß und weitere Gewalt das wahrscheinlichste Ergebnis sein.

Unionismus, Loyalismus und die Seegrenze

Das NI-Protokoll ist zum Katalysator einer langjährigen Krise für Unionismus und Loyalismus geworden. Das Protokoll ist symptomatisch für die unbequemen Wahrheiten, denen sie sich jetzt stellen müssen. In den letzten Jahren haben die Unionisten ihre Mehrheit in der nordirischen Versammlung verloren. Jüngste Umfragen deuten darauf hin, dass es eine wachsende Unterstützung für ein vereinigtes Irland gibt.

Teilweise als Folge der demographischen Veränderungen und teilweise als Folge der Krise des Unionismus wächst die Wahrscheinlichkeit, dass Sinn Féin den Ersten Minister nach den nächsten Wahlen zur Nordirland-Versammlung.

Der Unionismus reagiert mit Besorgnis auf die Ergebnisse der jüngsten Volkszählung. Es ist sehr gut möglich, dass sie eine katholische Mehrheit oder zumindest eine starke katholische Pluralität ergeben wird, während die Katholiken schon seit einiger Zeit auf allen Bildungsebenen und in der Arbeitswelt in der Mehrheit sind.

Der Unionismus befindet sich seit einigen Jahren in einer Krise. Ihre Mehrheit ist weggerutscht, ihre Politiker sind in der protestantischen Gemeinschaft verhasst. Die Ulster Unionist Party (UUP) – einst dominant in der politischen Landschaft – ist zusammengebrochen. Die DUP, die sie verdrängt hat, spürt, dass auch der Boden unter ihren Füßen nicht stabil ist.

Die DUP verliert Unterstützung an die noch rechtere und reaktionärere Traditional Unionist Voice (TUV), die schon immer am Rande stand, aber jetzt in den Umfragen bei 10 % Unterstützung liegt. Die gleiche Umfrage sieht Sinn Féin sechs Punkte vor Alliance (eine liberale, anti-sektiererische Partei) und einen Punkt hinter der DUP. Die Panik, die das in den eigenen Reihen der DUP auslöste, wurde aus durchgesickerten Protokollen eines Treffens von Parteimitgliedern in South Antrim deutlich.

Das Protokoll beklagte, wie "der Unionismus an Boden verloren hat" und stellte fest, dass die Wut in der "Unionisten/Loyalisten"-Gemeinschaft am "Siedepunkt" ist. Die sektiererische Wut, die sie sorgfältig als Basis für ihre Unterstützung kultiviert hat, ist nun außerhalb ihrer Kontrolle. Die Tories waren glücklich, die Unionisten zu hofieren, wenn es ihnen passte. Und die DUP hat im Gegenzug gerne die loyalistischen Paramilitärs hofiert. Sie waren nützliche Fußsoldaten bei Wahlen und schüchterten sogar Gegner ein und drängten sie so aus dem Rennen. Aber wie ein Kommentator im Belfast Telegraph bemerkte:

„Es hat dem politischen Unionismus überhaupt nicht geschadet, einen wütenden, bellenden Hund in der Ecke des Raumes zu haben, als sie versuchten, Druck auf die britische Regierung wegen des Brexit-Protokolls auszuüben… Aber wie wir letzte Woche feststellten, ist dieser wütende Hund schwer zu kontrollieren, wenn man ihn von der Leine lässt.“

Die Krise des Unionismus, der Aufstieg von Sinn Féin im Norden und Süden und die Umsetzung des NI-Protokolls haben viele Loyalisten und Hardliner-Unionisten davon überzeugt, dass es "jetzt oder nie" an der Zeit ist, Stellung zu beziehen.

Die loyalistischen Paramilitärs selbst sind keineswegs eine zentralisierte, einheitliche Stimme. Der Loyalist Community Council war mit sich selbst uneins darüber, wie er auf die Ausschreitungen reagieren sollte, und könnte nun ganz zerbrechen.

Unter den Loyalisten gibt es ältere Ex-Paramilitärs, die kein Interesse daran haben, zur Waffe zu greifen. Es gibt deklassierte, kriminelle, drogenhandelnde Elemente, die unter den Paramilitärs besonders dominant geworden sind. Sie haben ihre eigenen Gründe, sich an der Polizei die Zähne auszubeißen.

Und es gibt diejenigen, die einen harten Kern von Verrückten bilden, die bereit sind, einen Aufruhr anzuzetteln und solche, die an die am meisten entfremdeten Schichten der protestantischen Jugend appellieren.

Keine Zukunft im Kapitalismus

Wie war die Reaktion in den katholischen Gemeinden? Verständlicherweise haben sich viele katholische Jugendliche an den Grenzgebieten eingefunden, um diejenigen zu konfrontieren, die Steine und Feuerwerkskörper über die "Friedensmauern" in ihre Gemeinden werfen.

Einige haben dazu aufgerufen, dass katholische Jugendliche nach Hause gehen sollten, damit keine Gewaltspirale entfesselt wird. Sie warnen davor Wurfgeschosse zurückzuwerfen, weil es den Loyalisten in die Hände spielen könnte, wenn sie Unbeteiligte verletzen würden. Gleichzeitig können sie keine alternative Verteidigungsstrategie anbieten.

Aber diese Aufrufe werden offensichtlich nicht gehört. Denn das würde bedeuten, einfach untätig zuzusehen, während sie ernsthaft angegriffen werden und ihre Häuser von Geschossen getroffen werden.

Zu Hause zu sitzen ist auch keine Garantie für Sicherheit. Wenn es loyalistischen Hooligans jemals gelingen sollte, die "Friedensmauern" in katholischen Gemeinden zu durchbrechen, würden am Ende Benzinbomben durch die Fenster der Häuser geworfen und Menschen getötet werden. Die PSNI wird die katholischen Viertel sicher nicht schützen.

Schlimmer als nutzlos sind vielleicht diejenigen, wie Sinn Féin, die die Führer des 'politischen Unionismus' und sogar die loyalistischen paramilitärischen Führer dazu aufrufen, 'verantwortungsvoll zu handeln' und ruhig zu bleiben.

Die DUP wird von ihrer eigenen Agenda angetrieben. Sie wissen, was sie tun, wenn sie dem Sektierertum nachgeben. Wenn Arlene Foster (DUP, Ersten Ministerin) die Randalierer verurteilt, weil diese von den Verbrechen der Sinn Féin ablenken würden, weiß auch sie genau, was sie tut. Beide sind Feinde der Arbeiterklasse, sowohl der katholischen als auch der protestantischen. An sie zu appellieren ist wie an Beelzebub gegen Luzifer zu appellieren!

Traurigerweise gibt es eine ähnliche Logik in der Arbeiterbewegung. Die einzigen nicht-sektiererischen Organisationen der Arbeiterklasse im Norden Irlands, die potenziell den Morast durchbrechen und eine klare Klassenalternative aufzeigen könnten, sind die Gewerkschaften.

Wir haben bei den Busfahrern eine wunderbare Demonstration der Solidarität und der potenziellen Autorität gesehen, die die organisierte Arbeiterklasse in beiden Gemeinschaften aufbringen könnte.

Nach dem Anschlag mit Benzinbomben auf einen Translink-Bus umstellten Hunderte von Busfahrern das Belfaster Rathaus und hielten einen Protest ab, in dem sie gelobten, ab einer bestimmten Zeit in der Nacht nicht mehr durch von Unruhen erfasste Viertel zu fahren. Nicht weniger als 13.000 Menschen gefiel (Facebook like) der Belfast Live Livestream des Protests. Typische Kommentare gingen in die Richtung: „Diese Busfahrer zeigen mehr Führungsstärke als all die Politiker zusammen“.

Die Gewerkschaften könnten eine Führung anbieten. Sie könnten zu politischen Streiks aufrufen, um die loyalistischen Randalierer zu isolieren. Sie könnten eine nicht-sektiererische Selbstverteidigung organisieren, um in den Vierteln zu patrouillieren. In der Tat hat die irische Arbeiterklasse eine ruhmreiche Tradition der organisierten Selbstverteidigung der Arbeiterklasse, von Connollys Irischer Bürgerarmee bis zur beginnenden Entwicklung einer Trade Union Defence Force (gewerkschaftliche Verteidigungseinheiten) in den späten 1960er und frühen 1970er Jahren.

Doch die Mehrheit der Gewerkschaftsführungen ist ausdrücklich unpolitisch. Sie nehmen fälschlicherweise eine unpolitische Position ein und glauben, dass es nur durch das Heraushalten der Politik aus der Gewerkschaftsbewegung möglich ist, die sektiererische Kluft zu überwinden.

Aber wenn Arbeiter von loyalistischen Schlägern angegriffen werden, an wen wenden sich diese „unpolitischen“ Gewerkschaftsführer dann? An „die Politiker“! Die Vertreter des „politischen Unionismus“ müssen die Dinge abkühlen. Aber das hat eine eigene sektiererische Logik.

Die unionistischen Politiker und loyalistischen paramilitärischen Führer haben kein Recht, für protestantische Arbeiter zu sprechen! Nur weil es keine unabhängige Stimme der Arbeiterklasse gibt, weil die Gewerkschaften nicht für die Arbeiter sprechen, können die rechten Sektierer fälschlicherweise behaupten, ihre Stimme zu sein.

Eine revolutionäre Gewerkschaftsführung würde zu politischen Streikaktionen gegen loyalistische Provokationen aufrufen und proaktiv Selbstverteidigung organisieren. Das Problem ist genau das Fehlen einer solchen Führung. In ihrer Abwesenheit wird die Situation unbeständig bleiben.

Niemand, abgesehen von einer winzigen Randgruppe, will zur Gewalt der Vergangenheit zurückkehren. Aber 1968 waren die ersten Gegendemonstrationen von Ian Paisley gegen die Bürgerrechtsbewegung relativ winzig. Und doch wirkten sie wie ein Funke im Pulverfass.

Die Stimmung kann sehr schnell umschlagen, wenn dabei Menschen sterben. Sie kann in eine Stimmung der Abscheu gegenüber den Anstiftern der Gewalt umschlagen und sie kann auch in Rachegelüste umschlagen.

Wir leben in einem kritischen Moment der irischen Geschichte. Der Verfall des britischen Kapitalismus hat die Gespenster der Vergangenheit wiederbelebt und Irland erneut an den Abgrund gedrängt. In solchen Momenten ist es verlockend, sich vorzustellen, dass es Abkürzungen gibt. Die gibt es aber nicht. Im Kapitalismus wird die Gefahr von erneuter Gewalt, Blutvergießen und sogar Bürgerkrieg immer präsent sein.

Die organisierte Arbeiterklasse hat die Macht, der Gewalt ein Ende zu setzen. Einen Vorgeschmack auf diese Macht haben wir bei den Busfahrern gesehen.

In den letzten Jahren haben wir andere Demonstrationen dieser Macht und der Sympathie gesehen, die organisierte Arbeiter in allen Gemeinden der Arbeiterklasse wecken können: Von den Streiks der Krankenschwestern um Lohn und Arbeitsbedingungen bis hin zu den Streiks der Fleischfabrikarbeiter um Sicherheit.

Vor allem die Corona-Pandemie hat die Aufmerksamkeit auf die wirkliche Spaltung der Gesellschaft gelenkt. Während sich die Bosse, die Tories und die DUP einig waren, die Wirtschaft schnell wieder zu öffnen, verstanden die Arbeiter in allen Gemeinden, dass sie ein gemeinsames Interesse daran hatten, sich zu vereinen, um den Virus zu bekämpfen.

Die DUP versuchte, mit der Corona-Pandemie sektiererischen Fußball zu spielen. Edwin Poots versuchte sogar, es als einen "katholischen Virus" darzustellen.

Die wirkliche Kluft war nicht katholisch gegen protestantisch, sondern Bosse gegen Arbeiter, die versucht haben, sie zu Kanonenfutter für ihre Profite zu machen.

Wie bedrohlich die Situation auch erscheinen mag und wie schwer es auch sein mag, die konfessionelle Kluft im Norden Irlands zu überbrücken – Schwierigkeiten, die kaum untertrieben werden können –, wir müssen bedenken, dass die Ereignisse in Irland nicht von den Ereignissen im Rest der Welt isoliert sind. Klassenkampf ist auf der Tagesordnung: Im Süden Irlands, in Großbritannien und überall auf der Welt.

Im Moment hält die Corona-Pandemie die Arbeiterproteste zurück. Aber die Klassenwut baut sich sowohl in Großbritannien als auch in Irland auf. Arbeiterinnen und Arbeiter im Norden, sowohl protestantische als auch katholische, stehen vor den gleichen Problemen.

Die Arbeiterinnen und Arbeiter des Gesundheitswesens z.B. sind immensen Belastungen ausgesetzt und werden mit miserablen Lohnerhöhungen abgespeist. Die Arbeitslosigkeit wächst, kleine Unternehmen gehen pleite.

Das heißt, wenn die Arbeiterinnen und Arbeiter im Süden oder die Arbeiter in Großbritannien beginnen, sich in den konkreten Fragen zu bewegen, die die einfachen Menschen der Arbeiterklasse betreffen, wird dies unweigerlich Auswirkungen auf die Arbeiterinnen und Arbeiter im Norden Irlands haben.

Diese unvermeidlichen Mobilisierungen werden die Vorstellungskraft der Arbeiterjugend sowohl in den katholischen als auch in den protestantischen Gemeinden entfachen. Darin liegt die Perspektive einer vereinten Aktion der Arbeiterklasse.

Der Großteil der normalen Arbeiterschaft will keine Rückkehr zu "The Troubles" ("Den Unruhen"). Aber die Tatsache, dass die meisten Menschen sie nicht wollen, ist keine Garantie dafür, dass sie nicht zurückkehren werden. Der krisenhafte Kapitalismus schafft die Bedingungen für verschärfte Spannungen, die reaktionäre Politiker ausnutzen werden, um Arbeiterinnen und Arbeiter gegeneinander auszuspielen.

Es ist die Pflicht der Marxisten im Norden Irlands zu erklären, warum all dies geschieht und warum es jetzt geschieht. Sie müssen die Arbeiterinnen und Arbeiter davor warnen, wohin das alles führen könnte. Aber sie müssen auch eine alternative Perspektive anbieten – eine des vereinigten Kampfes der Arbeiterklasse gegen genau das System, welches das sektiererische Monster hervorgebracht hat: Kapitalismus und Imperialismus.

Laut dem Kunstwerk „Friedensmauer“ auf der Lanark Way, „gab es nie einen guten Krieg oder einen schlechten Frieden.“ Wir müssen in zwei Punkten widersprechen. Es gibt einen „schlechten Frieden“. Wir durchleben ihn gerade. Und es gibt einen „guten Krieg“: den Klassenkampf, um dem kapitalistischen System ein Ende zu setzen, der Quelle von Elend, Armut und Sektierertum.

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