Russland, Ukraine und der Westen: Wird es einen Krieg geben?

Russlands Präsident Putin ließ sich vom Parlament mit der Vollmacht ausstatten, die russische Armee auf die Krim und in die Ukraine zu entsenden. Wenige Tage zuvor hatten „unbekannte“ bewaffnete Männer strategische Punkte auf der Halbinsel Krim unter ihre Kontrolle gebracht. Später wurde wenig überraschend aufgedeckt, dass es sich dabei um Angehörige der auf der Krim stationierten russischen Schwarzmeerflotte handelte. Der pro-russische Präsident der Krim hat gleichzeitig Moskau um Unterstützung gegen das neue Regime in Kiew gebeten. Weiters kam es in mehreren ostukrainischen Städten zu pro-russischen Demonstrationen.

Translation

Im Westen ist die Aufregung natürlich groß. Ein Politiker nach dem anderen erklärt, dass Russland in der Ukraine nicht einmarschieren darf. Aber die Mobilmachung auf russischer Seite schreitet ganz offensichtlich weiter voran. Dieser Konflikt ist die größte direkte Konfrontation zwischen Russland und dem Westen seit dem Ende des Kalten Kriegs. Washington warnte Moskau sogar mit „Konsequenzen“. Doch niemand konkretisiert, wie diese aussehen könnten. Der Westen mag viele Argumente auf Lager haben, doch Putin hat auf der Gegenseite noch stärkere Argumente in Form von Panzern, Waffen und seinen Truppen. Dem kann die NATO derzeit nicht viel entgegenhalten.

Die Lage in der Ukraine

Die Lage in der Ukraine ist dramatisch. Von der anfänglichen Euphorie nach dem Sturz von Janukowitsch ist nicht mehr viel übrig. Derzeit herrscht eine angespannte Stimmung vor.

Es ist kein Zufall, dass der erste Akt, den das ukrainische Parlament nach Wiederaufnahme seiner Tätigkeit gesetzt hat, die Abschaffung des Russischen als zweite offizielle Amtssprache war. Mehreren Berichten zufolge bewachten faschistische Banden die Rada, als diese Abstimmung vorgenommen wurde. Diese rechten Milizen werden nun auch in die Polizei und die Streitkräfte integriert, ihre Anführer erhalten wichtige Positionen im Verteidigungs- und Innenministerium sowie in der Staatsanwaltschaft. Wenn wundert es unter diesen Vorzeichen, dass die russisch-sprachige Bevölkerung in der Ukraine derzeit mit Sorge in die Zukunft blickt? Sie haben allen Grund Angst zu haben.

Wenn Putin von einer Bedrohung für diese Bevölkerungsgruppe in der Ukraine spricht, dann ist das keine Übertreibung. Die Rolle der Faschisten in der EuroMaidan-Bewegung wurde in den westlichen Medien systematisch kleingeschrieben bis ignoriert. Wie so oft werden Bewegungen, die gegen eine Regierung gerichtet sind, die dem Westen nicht in den Kram passt, als demokratische “Freiheitskämpfer” präsentiert. Das Prinzip ist altbekannt: Der Feind meines Feindes ist mein Freund. Erinnern wir uns nur, als Washington sogar die Taliban und Osama bin Laden als “Freiheitskämpfer” bezeichnete – zumindest solange sie Russen und keine Amerikaner töteten.

Nach dem Sturz von Janukowitsch starteten die Faschisten ein regelrechtes Pogrom gegen die Kommunistische Partei (Angriffe auf deren Parteilokale, Brandanschläge gegen die Wohnungen von führenden KP-Politikern, kommunistische Publikationen wurden verboten). Rostislav Vasil'ko, der Sekretär des Stadtkomitees der KP in Lvov, wurde brutal verprügelt und schwer verletzt. So ein Vorgehen zeigt, dass sich die Faschisten einer Unterstützung von außerhalb der Ukraine sehr sicher sein müssen. Wobei hier wahrscheinlich die USA (bzw. Teile der US-Administration und der Republikanischen Partei) eine wichtigere Rolle spielen als Deutschland. Es ist mittlerweile offiziell, dass die USA in den letzten 20 Jahren 5 Mrd. Dollar in die ukrainische Opposition steckten. Beziehungen zwischen den Erben von Nazi-Kollaborateur Bandera und den USA gehen noch auf die Reagan-Ära zurück.

Es kommt auch wenig überraschend, dass der Antisemitismus in der Ukraine wieder sein Haupt erhebt. In Lvov wurde die Synagoge attackiert. Das heißt natürlich nicht, dass in Kiew ein voll ausgeprägtes faschistisches Regime mit Unterstützung der USA regiert, doch die relativ unabhängige Rolle und Stärke der Faschisten ist ein wichtiges Element in der momentanen Situation. Ein Kompromiss wird dadurch nicht gerade erleichtert.

Diese faschistische Bedrohung macht den Menschen in den Industriezentren in der Ostukraine Angst. Die Hauptaktivität der KPU lag bisweilen darin, Lenin-Monumente zu verteidigen, nachdem in der Westukraine schon einige solcher Statuen zerstört worden waren. In ostukrainischen Städten wurden zu diesem Zweck Massenkundgebungen mit tausenden TeilnehmerInnen abgehalten.

Auf der Linken gibt es ganz klar ein politisches Vakuum. Die besten Ausgangsbedingungen dieses zu füllen, hätte eigentlich die KPU. Doch nach 2004 ordnete sich diese einem Teil der Oligarchie unter und unterstützte Janukowitsch und die Partei der Regionen. Man argumentierte, Janukowitsch sei das „kleinere Übel“. Das war ein schwerer Fehler.

Nichtsdestotrotz gibt es Berichte, wonach die KPU in der Süd- und Ostukraine an Unterstützung gewinnt. Das ist wenig überraschend, erscheint doch die KPU noch am ehesten als eine Partei, die die Interessen der Arbeiterschaft und der russisch-sprachigen Bevölkerung artikuliert. Trotz der falschen Politik der KPU-Führung ist es jetzt notwendig unsere Solidarität mit den ukrainischen KommunistInnen zum Ausdruck zu bringen.

Die Situation auf der Krim

Die Krim ist für Russland ein Gebiet von großer Symbolkraft. Auf der Halbinsel am Schwarzen Meer leben 2,3 Millionen Menschen, der Großteil davon versteht sich als RussInnen und spricht auch Russisch. 2010 bei den Präsidentschaftswahlen war die Krim eine der Hochburgen von Janukowitsch. Seinen Sturz interpretieren viele als Putsch. Seither gibt es starke separatistische Bestrebungen auf der Krim.

Russland war in den letzten 200 Jahren die dominierende Macht auf der Krim. Die Region wurde 1783 von Russland annektiert, 1954 jedoch an die Ukraine (die ja damals Teil der Sowjetunion war) abgetreten. Neben der russischen Mehrheit gibt es auf der Krim noch die Minderheit der muslimischen Krimtataren. Sie stellten einst die Mehrheit auf der Halbinsel, 1944 kam es jedoch unter Stalin zu Massendeportationen, weil die Krimtataren angeblich mit den Nazis kollaborierten.

Die ethnische Zusammensetzung auf der Krim ist höchst komplex: Laut dem Zensus von 2001 bekennen sich 24% zur ukrainischen, 58% zur russischen Volksgruppe und 12% zu den Krimtataren. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion 1991 kehrten immer mehr Krimtataren in ihre alte Heimat zurück, was immer wieder zu Spannungen mit der russischen Bevölkerung führt, weil die Krimtataren alte Ansprüche auf Grund und Boden erheben. So kam es auch in der letzten Zeit mehrfach zu gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen Russen und Krimtataren.

Für 25. Mai wurde vom Regionalparlament nun ein Referendum über die Unabhängigkeit der Krim ausgerufen. Der Ausgang dieses Referendums ist angesichts der ethnischen Zusammensetzung auf der Halbinsel schon jetzt ziemlich sicher.

Kiew hat längst die Kontrolle über die Halbinsel verloren. Russische Marineeinheiten kontrollieren mittlerweile die Flughäfen. Es gibt ein Memorandum aus dem Jahr 1994, in dem Russland das Versprechen abgab, die territoriale Integrität der Ukraine zu akzeptieren. Was dieses Abkommen aber in der Praxis wert ist, ist eine andere Sache. In den Worten von Solon: „Das Gesetz ist wie ein Spinnennetz: die Kleinen werden darin gefangen, die Großen zerreißen es.“

Der Zynismus der USA und der EU

Die Stellungnahmen führender US-Politiker zu diesem Konflikt zeichnen sich vor allem durch Heuchelei aus. Sie verlangen von Russland, dass sie von einer Einmischung in der Ukraine absehen, selbst aber versuchen sie schon seit langem die politischen Kräfteverhältnisse in Kiew zu ihren Gunsten zu verschieben. Ihre zynische Politik stellte einen zentralen Faktor bei der Destabilisierung der Ukraine dar.

Die USA beschuldigen Russland, die nationale Souveränität der Ukraine zu verletzen. Und was war in Afghanistan, im Irak und in Jugoslawien? Sie beschuldigen Russland, auf ein Auseinanderbrechen der Ukraine hinzuarbeitet. Aber genau das taten auch die USA in Jugoslawien, in der Tschechoslowakei und nicht zuletzt in der ehemaligen Sowjetunion. Und im Fall der Ukraine spielten die USA eine wichtige Rolle in den Ereignissen, die zur jetzigen Situation geführt haben.

Die Rolle der EU ist um keinen Deut besser. Man machte der ukrainischen Bevölkerung vor, dass es ihr viel besser gehen würde, wenn die Ukraine unter den Einfluss Berlins gerät und Moskau den Rücken zukehrt. Große Teile Bevölkerung der Ukraine sind die Jahrzehnte der Korruption und des wirtschaftlichen Chaos müde und glaubten den Versprechungen aus Berlin. Für sie steht die EU für den Traum von einem besseren Leben. Doch die Realität ist eine andere.

Die ukrainische Wirtschaft steht am Abgrund. Die Regierung in Kiew ist buchstäblich pleite. Die Zentralbank musste ein Limit von 15,000 Hryvnia (1,000 Euro) festsetzen, mehr Geld kann man derzeit pro Tag nicht von der Bank abheben. Auf diese Weise will man einen Run auf die Banken und einen völligen Einbruch der Währung verhindern. Die Ukraine benötigt in den nächsten beiden Jahren 35 Mrd. USD, damit sie ihre Schulden zurückzahlen kann. Aber wer wird das bezahlen? Russland hat bereits einen 15 Mrd. USD Kredit zurückgezogen. Die EU wird abgesehen von ein paar netten Worten wenig bis nichts nach Kiew überweisen. Aber mit netten Worten lassen sich leere Bäuche nicht füllen.

Ist das der Beginn des Dritten Weltkriegs?

Heuer ist der 100. Jahrestag des Ausbruchs des Ersten Weltkriegs. Vielleicht sehen deshalb viele Menschen in der Ukraine schon die Schatten von Sarajewo. Doch solche historischen Analogien sind sehr oberflächlich und inhaltsleer. Das internationale Kräftegleichgewicht ist heute ein ganz anderes als 1914. Die Interessen, der in diesem Konflikt involvierten Nationen, sind ganz andere.

1914 war Deutschland gezwungen seinen Verbündeten Österreich-Ungarn zu verteidigen und suchte selbst einen Vorwand für einen Krieg. Deutschland, Österreich, Frankreich, Russland und Britannien hatten allesamt Interesse an einem Krieg. Die Ermordung von Franz Ferdinand in Sarajewo war nur der Auslöser für einen Krieg, der sich über Jahrzehnte in Europa vorbereitet hatte. Ein einfaches Faktum sollte klarmachen, wie sehr sich die Lage damals von der heutigen unterscheidet. Die Ereignisse von Sarajewo führten unmittelbar zum österreichischen Ultimatum an Serbien. Dieses Ultimatum war so gehalten, dass Belgrad auf keinen Fall zustimmen konnte. Mit anderen Worten: Wien suchte nur einen Vorwand, um Serbien angreifen zu können.

Welche Ausgangsposition haben wir heute? Die USA wettern heftig gegen die russische „Aggression“, aber die angedrohten „Konsequenzen“ (wie der Ausschluss aus den G8) werden Moskau keine schlaflosen Nächte bescheren. In Wirklichkeit haben die USA keine wichtigen Interessen in der Ukraine. Natürlich würde Washington gerne die Auflösung der russischen Militärbasis auf der Krim sehen, aber es verfolgt keine größeren ökonomischen Interessen in der Region. Die Ukraine hat kein Erdöl, sondern nur viele Schulden, und Schulden haben die USA selber schon mehr als genug.

Amerika interessiert sich nur recht wenig für das Schicksal der Ukraine als Nation und es will für die wirtschaftlichen Probleme des Landes keine Verantwortung übernehmen. Sie will nur die Ukraine aus dem unmittelbaren Einflussbereich Russlands reißen. Das ist Teil ihrer langfristigen geopolitischen Strategie, die auf eine Schwächung Russlands auf dem Gebiet der ehemaligen Sowjetunion abzielt.

In der Vergangenheit wurde Russland in mehreren Konflikten erniedrigt. Denken wir nur an die Kriege in Jugoslawien, im Irak oder in Libyen. Deshalb zieht Russland jetzt einen Strick im Sand. Das zeigte sich schon in Georgien und später in Syrien. Doch aus der Sicht Moskaus ist der Konflikt in der Ukraine viel bedeutsamer als die genannten Beispiele. Die “Strategen” in Washington haben offensichtlich unterschätzt, wie Russland reagieren würde. Sie geben sich jetzt äußerst überrascht. Wenn das stimmt, dann müssen sie aber einen Big Mac zwischen den Ohren haben, wo bei anderen Menschen ein Gehirn ist.

Moskau kann die Präsenz der NATO in der Ukraine nicht akzeptieren. Das ist für Moskau eine einzigartige Provokation. Deshalb war die Reaktion Putins logisch und vorhersehbar.

Aber wir haben nicht 1914 oder 1939. Ja, wir befinden uns nicht einmal in den Zeiten des Kalten Krieges. Es gibt derzeit keine Gründe, warum der gegenwärtige Krieg der Worte in einen militärischen Konflikt zwischen den Großmächten münden soll. Russland wird nicht einmal in der Ukraine einmarschieren müssen, wie 1968 in der Tschechoslowakei. Moskau hat in der Ukraine selbst genügend politische Unterstützung zur Durchsetzung seiner Interessen. Es kann abwarten und sich sicher sein, dass seine Position gestärkt sein wird. Notfalls kann es noch immer intervenieren und würde von einem bedeutenden Teil der Bevölkerung als Befreier gesehen werden.

Selbst die Republikaner wie John McCain, die Obama Schwäche im Umgang mit Russland vorwerfen, wagen es nicht, ein militärisches Vorgehen gegen Russland vorzuschlagen. Er fordert lediglich ein Gesetz, dass es der US-Regierung ermöglichen soll, Menschenrechtsverletzungen durch Russland besser zu sanktionieren. Vielleicht sollte man einmal überlegen, auch Vertreter der US-Administration für Menschenrechtsverletzungen vor ein internationales Gericht zu bringen. Das würde den Internationalen Gerichtshof in Den Haag über Jahre Beschäftigung geben. Mr. McCain will sich aber lieber auf Russen konzentrieren, ohne jedoch zu sagen, wie man dieser habhaft werden könnte.

Abgesehen von der Suspendierung der Vorbereitungen für den G8-Gipfel in Russland, der im Juni stattfinden soll, gibt es noch die Idee, die Paralympics in Sotschi zu boykottieren. Diese Drohung wird Putin in der Tat erzittern lassen!

Aber was ist mit Frau Merkel, der unumstrittenen Chefin in der EU, die für das ganze Chaos in Kiew hauptverantwortlich ist? Wie Obama führte auch sie ein Gespräch mit Putin. Den genauen Gesprächsinhalt kennen wir (wahrscheinlich im Gegensatz zum CIA) leider nicht. So weit man zwischen den Zeilen lesen kann, dürfte sich Merkel dabei jedoch äußerst verständnisvoll gegenüber Moskaus Sicht der Dinge gezeigt haben. Berlin will auf keinen Fall die engen Beziehungen zu Russland aufgeben. Vielleicht hängt dies damit zusammen, dass Russland der wichtigste Erdgaslieferant für Deutschland ist. Vielleicht macht sich Merkel Sorgen, dass Putin den Gashahn abdreht, wenn sie ihm zu sehr auf die Zehen steigt. Wer weiß?

Der Westen spricht nicht mit geeinter Stimme. Aber weder Washington noch London oder gar Berlin drohten bisweilen mit der Maßnahme, die wirklich bei Putin Eindruck machen könnte: der Möglichkeit einer militärischen Aktion gegen Russland. Die NATO setzt somit weiterhin auf Dialog mit Moskau. Es gibt kein Ultimatum. Der Grund dafür ist, dass ein militärisches Eingreifen des Westens ausgeschlossen ist.

Die ukrainische Armee

Was kann die Ukraine Russland entgegenstellen? Theoretisch betrachtet verfügt die Ukraine über die größte Armee in Europa. Doch alle Berichte lassen darauf schließen, dass Korruption und Einsparungen ihre Spuren hinterlassen haben. Dazu kommt, dass die Armee all die Widersprüche in der ukrainischen Gesellschaft widerspiegelt und von denselben Bruchlinien durchzogen ist. Unter extremem Druck könnte sie auseinanderbrechen.

Das zeigte sich erst in den letzten Tagen, als der neu ernannte Flottenchef sich auf die Seite der pro-russischen Regionalregierung der Krim stellte. Das war ein schwerer Schlag für die neue Regierung in Kiew und muss auf die Streitkräfte in der gesamten Ukraine großen Eindruck gemacht haben. TV-Reportagen über ukrainische Marinesoldaten zufolge dürfte die Kampfeslust dieser Truppen nicht allzu groß sein. Es ist unwahrscheinlich, dass diese Armee eine Invasion der russischen Armee abwehren, geschweige denn die Krim zurückerobern könnte.

Was bleibt der Ukraine dann noch? Das Parlament in Kiew ruft den UNO-Sicherheitsrat an, sich mit der Krise auf der Krim auseinanderzusetzen. Die UNO wird den Konflikt natürlich diskutieren, und dann wird sie – nichts machen. Jede noch so aussagelose Resolution wird von Moskau blockiert werden. Was auch immer passieren wird, die Krim ist aus der Sicht Kiews verloren.

Was nun?

Ist ein Abkommen zwischen Russland und den USA möglich? Prinzipiell ist das nicht auszuschließen. Doch der Lauf der Dinge würde auch eine andere Entwicklung möglich machen, und die Dinge entwickeln sich derzeit sehr schnell. Ein Auseinanderbrechen der Ukraine ist eine mögliche Perspektive. Die Konsequenzen wären gewaltig. Ohne Gewalt und Bürgerkrieg wäre dies nicht möglich. Russland würde dann wohl intervenieren. Die EU hingegen verfügt über keine Mittel in so einem Fall einzugreifen, weil sie keine entsprechende Armee hat.

In Kiew haben derzeit die Amerikaner das Sagen. Ihr Mann Jazenuk steht an der Spitze der Regierung, während Berlins Marionette Klitschko nicht einmal ein Ministeramt bekleiden darf. Man kann davon ausgehen, dass sich die Amerikaner in diesem Konflikt (zumindest in Worten) kriegerisch geben werden. Die Folgen hätten ohnedies vor allem Russland und die EU zu tragen, während die US-Administration genügend Sicherheitsabstand zu diesem Konflikt hat (zumindest glaubt sie das).

Jazenuk steht unter Druck von verschiedenen Seiten. Die Ultranationalisten sitzen ihm im Nacken und haben den Mob auf der Straße hinter sich. Washington fordert ihn auf, nicht vor Russland in die Knie zu gehen und sichert ihm weitere Unterstützung zu. Das ist eine sehr explosive Mischung. Im Osten verliert die neue Regierung aber immer mehr die Kontrolle. Sie hat aber wenige Möglichkeiten das zu ändern. Setzt sie die Armee ein, bedeutet das unmittelbar, dass russische Panzer über die Grenze rollen werden. Putin hat Obama offen vor so einem Szenario gewarnt, und es gibt keinen Grund zur Annahme, dass er blufft.

Moskau hat einen kompromisslosen Standpunkt eingenommen. Eine kleine Antikriegsdemonstration wurde brutal ausgelöst. Dafür kam es zu einer riesigen Demonstration zur Unterstützung einer Militärintervention.

Für eine geeinte, sozialistische Ukraine!

Wenn das Schicksal der Ukraine von Putin, Merkel und Obama entschieden wird, was bleibt dann noch von der nationalen Souveränität des Landes? Das Memorandum zum Erhalt der nationalen Integrität der Ukraine aus dem Jahr 1994 ist ein Fetzen geduldiges Papier, sonst nichts. Das entscheidende Element in dieser Frage ist, wie sonst auch, welche Seite eine größere Stärke an den Tag legen kann. Pazifistisches Gejammere “gegen Krieg” und “für Frieden” ist in solch einer Situation völlig nutzlos. Wir müssen die Tatsachen zum Ausgangspunkt unserer Politik machen.

Ein weiser Diplomat meinte einst: “Nationen haben keine Freunde, nur Interessen.” Das stimmt natürlich. Putin spricht nicht im Interesse der russisch-sprachigen Bevölkerung in der Ukraine, genauso wenig wie Obama und Merkel im Interesse der Ukraine handeln. Alle verfolgen schlicht und ergreifend ihre engen nationalen Eigeninteressen, d.h. die Interessen der Banker, Kapitalisten und Oligarchen, die in der kapitalistischen Gesellschaft in Wirklichkeit das Sagen haben.

Die ArbeiterInnen in der Ukraine sollten nicht den Fehler begehen, auch nur irgendwelche Illusionen in die Motive dieser Großmächte zu hegen. Weder Russland noch die EU haben eine Lösung für ihre Probleme anzubieten.

Ihren Ursprung hat der ganze Schlamassel im wirtschaftlichen Kollaps der Ukraine nach dem Auseinanderbrechen der Sowjetunion. Es ist eine Tatsache, dass der Kapitalismus sowohl in Russland wie auch in der Ukraine gescheitert ist. Nur eine Handvoll an superreichen Oligarchen haben sich seither bereichert, indem sie das staatliche Eigentum plünderten. Im Gegenzug verarmten Millionen Menschen. Auf kapitalistischer Grundlage wird sich daran auch nichts ändern. Die EU wird jedenfalls keinen Ausweg aus der Krise bieten.

Genausowenig dürfen sich die Menschen in der Ostukraine von Russland erwarten. Ein Auseinanderbrechen der Ukraine würde die Lage weiter verschlechtern. Moskaus „Großzügigkeit“ würde nicht lange andauern vor allem wenn die Öl- und Gaspreise zu sinken beginnen. Die russische Wirtschaft schwächelt jetzt schon, ein Krieg mit der Ukraine könnte eine Krise auslösen, selbst wenn Russland als Sieger vom Schlachtfeld geht.

Die schlimmsten Auswirkungen wären aber nicht wirtschaftlicher, sondern politischer Natur. Eine russische Invasion und das Auseinanderbrechen der Ukraine würde eine Kettenreaktion auslösen, die sehr negative Folgen für das Bewusstsein der internationalen und speziell der europäischen Arbeiterklasse hätte. Die nationalen Konflikte würden enorm verstärkt werden und es würde ein Monster geschaffen, wie wir es bereits in Jugoslawien in den 1990ern gesehen haben. Das damit verbundene Blutvergießen würde lange nachwirken.

In Bezug auf die Krim droht ein besonders bedrohliches Szenario. Die muslimischen Krimtataren lehnen jegliche Rückkehr zu Russland ab. Ihre Haltung geht zurück auf die Erfahrungen mit Stalin im Zweiten Weltkrieg. Die Spannungen zwischen Russen und Krimtataren auf der Krim werden nun nach der Annexion durch Russland aber unvermeidlich zunehmen. Es könnte zur Bildung terroristischer Gruppen und Guerillas wie in Tschetschenien kommen, die einen blutigen Krieg gegen Russland führen.

In der Ukraine könnten wir all das sehen, was wir bereits aus Jugoslawien und anderen Krisenherden kennen. Sobald sich die Spirale der Gewalt dreht, ist diese nur schwer zu stoppen. Der Terror würde sich wahrscheinlich sehr schnell auf Russland und Europa ausweiten. Die Menschen in der Ukraine glauben, dass es nicht mehr schlimmer kommen kann, als es schon ist. Aber leider, kann es noch sehr viel schlimmer werden.

Wir stehen für die Einheit der Arbeiterklasse und für die Einheit der Ukraine. Doch die einzige Garantie dafür ist der revolutionäre Kampf gegen die Oligarchie. Wir können diese Aufgabe niemand anderem als der ukrainischen Arbeiterklasse anvertrauen. Die ArbeiterInnen in Moskau, die zur Unterstützung ihrer Regierung auf die Straße gehen, demonstrieren nicht für den Krieg, sondern weil sie ein Zeichen gegen den Faschismus in der Ukraine setzen wollen. Doch die einzige Kraft, die den Faschismus bezwingen kann, ist die Arbeiterklasse, wenn sie geeint ist und für eine andere Gesellschaft kämpft.

Ist es notwendig den Faschismus in der Ukraine zu bekämpfen? Natürlich! Die ukrainischen Faschisten und Chauvinisten sind unsere Feinde. Sie müssen zerschlagen werden. Die Arbeiterklasse, die Kommunistische Partei und die Gewerkschaften müssen antifaschistische Milizen aufbauen. In Ansätzen passiert das auch bereits. Die antifaschistischen Komitees sollten vernetzt und zu einer landesweiten Bewegung entwickelt werden, die möglichst alle Volksgruppen umfasst. Die Faschisten können besiegt werden. Aber nur unter der Voraussetzung, dass sich die Arbeiterklasse nicht spalten lässt.

Eine Aufspaltung der Ukraine wäre ein krimineller Akt. Über Jahrhunderte lebten UkrainerInnen und RussInnen friedlich nebeneinander. Diese beiden Nationen sind bis zum heutigen Tag durch enge historische und kulturelle Beziehungen miteinander verbunden. Dies zeigt sich allein an den symbolischen Protesten nach der Verabschiedung des reaktionären Sprachengesetzes durch die Rada, als viele Menschen in der Westukraine 24 Stunden lang nur Russisch sprachen. Nicht alle Menschen in der Ukraine sind von nationalistischem Wahnsinn ergriffen, sondern wünschen sich Einheit.

Kein Vertrauen in die Regierungen in Kiew und Moskau. Sie stehen in Wirklichkeit für die Herrschaft der kapitalistischen Oligarchie. Die russische und ukrainische Arbeiterklasse darf nur in die eigene Stärke vertrauen. Die Einheit der Arbeiterklasse ist der Schlüssel zur Lösung dieses Konflikts. Die Arbeiterklasse darf sich nicht von der Demagogie der nationalistischen Kräfte und durch das Gift des Rassismus spalten lassen. Kämpfen wir für die Einheit der Arbeiterklasse, allen nationalen, ethnischen, sprachlichen und religiösen Differenzen zum Trotz!

An die KommunistInnen in Russland und der Ukraine: Wenn ihr gemäß den Idealen von Lenin und der Oktoberrevolution den Kampf für den Kommunismus führen wollt, dann ist es notwendig, dass ihr mit der Bourgeoisie und der Oligarchie brecht. Weder Putin noch Janukowitsch oder irgendeine andere bürgerliche Partei repräsentieren die Interessen der Arbeiterklasse. Die Befreiung der Arbeiterklasse muss das Werk der ArbeiterInnen selbst sein.

Nieder mit dem nationalen Chauvinismus! Lang lebe der proletarische Internationalismus und die Einheit der Arbeiterklasse!

London, 3. März 2014