Luxemburg, Liebknecht und die Deutsche Revolution

Anlässlich des 100. Todestages von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht teilen wir diesen Artikel von Marie Frederiksen, Autorin von Das revolutionäre Erbe von Rosa Luxemburg (auf Dänisch bei Forlaget Marx vorbestellbar). Marie erklärt, wie der Spartakusaufstand von 1919 durch die Schwäche und die Fehler der jungen Kommunistischen Partei Deutschlands besiegt wurde, was schliesslich zur Hinrichtung von Luxemburg und Liebknecht führte.

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An der Deutschen Revolution im November 1918 beteiligten sich Millionen von Menschen, von denen die meisten davor noch nie politisch aktiv gewesen waren. Wie in Russland wandte sich die Mehrheit derjenigen, die erst kürzlich die politische Bühne betraten, an diejenigen Parteien, welche sie bereits kannten. In Russland ging nach dem Februar die Macht auf die Menschewiki und die Sozialrevolutionäre über. In Deutschland wendeten sich die Massen an die Sozialdemokratischen Partei (SPD) und in geringerem Masse an die Unabhängigen Sozialdemokraten (USPD). Nur durch die praktische Erfahrung lernten die breiten Massen, dass weder die Führer der SPD noch der USPD ihre Probleme lösen konnten.

In einer Revolution ändert sich das Bewusstsein der Massen schnell. Damit sie aber die Macht übernehmen können, ist, das hat die Geschichte gezeigt, eine revolutionäre Partei notwendig, um den Massen eine Führung zu bieten. Luxemburg stand vor einer schwierigen Aufgabe. Die Bolschewiki hatten zwei Jahrzehnte gebraucht, um das aufzubauen, was sie nun in ein paar Monaten aufzubauen versuchte. Aber es war die Aufgabe, die sich ihr stellte.

Luxemburg war letztlich skeptisch, ob die Gründung einer neuen Partei eine gute Idee war. Leo Jogiches war dagegen. Luxemburg wurde schliesslich überzeugt, aber sie blieb dagegen, die Partei als «kommunistisch» zu bezeichnen. Ihr zufolge sei es besser, die Partei «sozialistisch» zu nennen, weil es so einfacher würde, Mitglieder von den sozialistischen Parteien der Zweiten Internationale zu gewinnen. Sie befürchtete, der Name «Kommunistische Partei» würde die neue Partei zu fest mit den Russen in Verbindung bringen und die Leute abschrecken. Sie war viel vorsichtiger und stärker auf die Mitglieder der alten Internationalen orientiert als Lenin, der argumentierte, dass es einen klaren Bruch mit dem Sozialchauvinismus in all seinen Formen brauche und das «kommunistisch» daher die beste Bezeichnung sei. Luxemburgs Vorschlag wurde in der Führung der SpartakistInnen, der Zentrale, abgelehnt. Es wurde beschlossen, die Partei solle «kommunistisch» genannt werden. Am 29. Dezember 1918 stimmten die SpartakistInnen mit 80 zu 3 Stimmen dafür, die USPD zu verlassen und eine unabhängige Partei zu gründen.

Am nächsten Tag, am 30. Dezember 1918, trafen sich 129 Delegierte der SpartakistInnen, der Freien Sozialistischen Jugend und der Internationalen Kommunisten Deutschlands (IKD) und gründeten die Kommunistische Partei Deutschlands: die KPD. Aber auch der Name der Spartakisten blieb erhalten.

In «Unser Programm und die politische Situation» legte Luxemburg das politische Programm der Partei dar und analysierte die objektive Situation. Sie erklärte zunächst die Verbindung der neuen Partei zu Marx und Engels und dem «Kommunistischen Manifest» und argumentierte, dass die SPD degeneriert sei und sich von der revolutionären Basis abgewendet habe. Es sei an der Zeit, sich mit den Altlasten der SPD zu befassen.

«Es [das neue Programm] befindet sich im bewussten Gegensatz zu dem Standpunkt, auf dem das Erfurter Programm bisher steht, im bewussten Gegensatz zu der Trennung der unmittelbaren, sogenannten Minimalforderungen für den politischen und wirtschaftlichen Kampf von dem sozialistischen Endziel als einem Maximalprogramm. Im bewussten Gegensatz dazu liquidieren wir die Resultate der letzten 70 Jahre der Entwicklung und namentlich das unmittelbare Ergebnis des Weltkrieges, indem wir sagen: Für uns gibt es jetzt kein Minimal- und kein Maximalprogramm; eines und dasselbe ist der Sozialismus; das ist das Minimum, das wir heutzutage durchzusetzen haben.» (Unser Programm und die politische Situation, Gesammelte Werke, Bd. 4)

Nach Luxemburgs Einschätzung war die erste Phase der Revolution vorbei. Diese Phase hatte am 9. November begonnen, als die ArbeiterInnen- und Soldatenräte entstanden. Die ArbeiterInnen- und Soldatenräte zeigten, wohin der Weg gehen sollte, doch wegen der Schwäche der Revolution, ist ihnen die halbe Macht entglitten. Die erste Phase war geprägt von Illusionen: Illusionen unter den ProletarierInnenn und Soldaten über die «Einigkeit unter dem Banner des sogenannten Sozialismus»; Illusionen in der Bourgeoisie; und in der Vorstellung, die Regierung Ebert-Scheidemann könnte die ArbeiterInnen durch den Einsatz der Soldaten niederhalten. Diese Illusionen wurden nun ausgeräumt:

«Das waren die verschiedenartigen Illusionen, aus denen sich auch die Vorgänge der letzten Zeit erklären lassen. Sämtliche Illusionen sind in nichts zerronnen. Es hat sich gezeigt, dass die Vereinigung von Haase mit Ebert-Scheidemann unter dem Schilde des „Sozialismus“ in Wirklichkeit nichts anderes bedeutete als ein Feigenblatt auf eine rein konterrevolutionäre Politik.» (Ebd.)

Laut Luxemburg war es positiv, dass die Illusionen ausgeräumt wurden. Es öffnete den Weg für eine neue Phase, in der die Regierung zunehmend ihre Unterstützung verlieren würde, nicht nur bei den ArbeiterInnen, sondern auch beim Kleinbürgertum und den Soldaten. Die Bourgeoisie würde gleichzeitig das Vertrauen in die Regierung verlieren. In der nächsten Phase würde die Regierung daher, so Luxemburg, zur Konterrevolution übergehen:

«Wenn Sie das neue Programm dieser Herren lesen, dann werden Sie sehen, dass sie in die zweite Phase – die der entschleierten Konterrevolution, ja, ich möchte das formulieren: in die Restauration der früheren, vorrevolutionären Verhältnisse mit Volldampf hinaussegeln.» (Ebd.)

Das würde den Klassenkampf nur verschärfen.

«Ebert-Scheidemann werden durch die Verhältnisse dahin gestossen, zur Diktatur mit oder ohne Belagerungszustand zu greifen. Daraus ergibt sich aber, dass wir gerade durch die bisherige Entwicklung, durch die Logik der Ereignisse selbst und durch das Gewaltsame, das über den Ebert-Scheidemann lastet, dazu kommen werden, in der zweiten Phase der Revolution eine viel verschärftere Auseinandersetzung, viel heftigere Klassenkämpfe zu erleben, als das vorhin der Fall war; eine viel schärfere Auseinandersetzung nicht bloss deshalb, weil die politischen Momente, die ich bisher aufgezählt habe, dahin führen, ohne Illusionen, Brust an Brust, Auge in Auge den Kampf zwischen der Revolution und der Konterrevolution aufzunehmen, sondern deshalb, weil ein neues Feuer, eine neue Flamme immer mehr aus der Tiefe in das Ganze hineingreift, und das sind die wirtschaftlichen Kämpfe.» (Ebd.)

In ihrer Rede auf dem Gründungskongress der Kommunistischen Partei warnte Luxemburg energisch vor dem Glauben, dass ein Sieg einfach sein werde. Sie hatte absolut Recht bezüglich der drohenden Konterrevolution. Sie versuchte in den jungen KommunistInnen einen Sinn für Realismus zu wecken für die Schwierigkeiten, die ihnen bevorstünden. Die alte herrschende Klasse würde mit Hilfe des Staatsapparats und der SPD alles in ihrer Macht stehende tun, um die Revolution abzuwehren. Und die KommunistInnen waren noch weit davon entfernt, bei den Massen Gehör zu finden. In den Städten waren die ArbeiterInnen wohl radikalisiert, aber auf dem Land hatte die Revolution noch nicht begonnen.

«Wenn ich es so schildere, nimmt sich der Prozess vielleicht etwas langwieriger aus, als man geneigt wäre, ihn sich im ersten Moment vorzustellen. Ich glaube, es ist gesund für uns, wenn wir uns mit voller Klarheit alle Schwierigkeiten und Komplikationen dieser Revolution vor Augen führen. Denn ich hoffe, wie auf mich, so wirkt auch auf keinen von Euch die Schilderung der grossen Schwierigkeiten, der sich auftürmenden Aufgaben dahin, dass Ihr etwa in Eurem Eifer oder Eurer Energie erlahmt; im Gegenteil: Je grösser die Aufgabe, um so mehr werden wir alle Kräfte zusammenfassen; und wir vergessen nicht: Die Revolution versteht ihre Werke mit ungeheurer Geschwindigkeit zu vollziehen. Ich übernehme es nicht zu prophezeien, wieviel Zeit dieser Prozess braucht. Wer rechnet von uns, wen kümmert das, wenn nur unser Leben dazu ausreicht, es dahin zu bringen!» (Ebd.)

Linksradikale Tendenzen
Die Mehrheit der Delegierten des Gründungskongresses der KPD war noch jung. Dreiviertel waren unter 35 Jahre alt und nur einer (Leo Jogiches) war über 50. Die Hälfte waren IndustriearbeiterInnen. Die jungen Mitglieder der KPD waren gekennzeichnet durch ihre linksradikalen Tendenzen. Frølich beschrieb die Zusammensetzung:

«Der Spartakusbund war eine lose Organisation von nur wenigen tausend Mitgliedern. Den Kern bildete der alte linke Flügel der Sozialdemokratie, eine marxistische Elite geschult in Rosa Luxemburgs taktischen Ideen. Die Mehrheit der Sozialistischen Jugend tat sich mit dem Bund zusammen, welcher dann zusätzliche UnterstüzerInnen aus den vielen JungsozialistInnen rekrutierte, die durch die Kriegsopposition zum linken Flügel der ArbeiterInnenbewegung getrieben worden waren. Während den Kriegsjahren waren all diese Elemente Risiken eingegangen und hatten Gefahren erlebt, die für die ArbeiterInnenbewegung in Westeuropa neu waren. Sie waren alle enthusiastische AnhängerInnen der Revolution, aber viele von ihnen hatten noch romantische Ideen von ihr.» (Frølich, Rosa Luxemburg, S. 310, Übersetzung d. Red.)

Als Karl Radek Mitte Dezember 1918 in Deutschland ankam, war er geschockt vom Linksradikalismus der Spartakisten:

«Ich kaufte eine Ausgabe der Roten Fahne. Als ich zum Hotel fuhr, blätterte ich durch die Zeitung. Mich durchfuhr ein Schreck! Der Ton der Zeitung vermittelte den Eindruck als stünde der Endkonflikt vor uns. Es hätte nicht verdrehter sein können. Wenn sie es nur unterlassen können, zu untertreiben! …

Die Frage, wie man mit der Nationalversammlung umgehen sollte, entfachte eine Kontroverse… Es war eine sehr verlockende Idee, dem Slogan der Nationalversammlung jenen der Räte entgegenzustellen. Aber der Rätekongress selbst hatte sich für eine Nationalversammlung ausgesprochen. Diese Tatsache konnte man nicht übergehen. Rosa und Karl begriffen dies… Aber die Parteijugend war entschieden dagegen, ‚wir lösen das mit Maschinengewehren!’» (zitiert in Debate on Soviet Power, S. 159 und 162, Übersetzung d. Red.)

Eine der ersten Debatten auf dem KPD-Gründungskongress betraf die Beteiligung an den Wahlen zur Nationalversammlung. Paul Levi präsentierte die Position der Führung: Die deutsche Bourgeoisie wolle die Nationalversammlung benützen, um die Revolution mit Hilfe der SPD zu liquidieren, aber nichtsdestotrotz müssten die KommunistInnen daran teilnehmen. Die Wahlen würden bedeuten, dass die Aufmerksamkeit der Massen für Monate auf der Nationalversammlung läge und die KommunistInnen müssten diese Gelegenheit ausnützen. Auf den Vorschlag, an den Wahlen teilzunehmen, kam breiter Widerspruch von den jungen Delegierten, die Levi wiederholt durch Zwischenrufe unterbrachen.

Luxemburg, die sonst die Nationalversammlung als Umweg gegenüber Arbeiter- und Soldatenräten scharf verurteilte, stimmte Levi und dem Rest der Führung zu, dass eine Teilnahme notwendig war, nachdem die Räte sich für eine Nationalversammlung entschieden hatten, und dass die KommunistInnen sie für die Verbreitung ihres politischen Programms nutzen und damit versuchen sollten, die Massen zu erreichen.

Doch Luxemburg und der Rest der Führung waren nicht in der Lage, die Mehrheit der Mitglieder von der Korrektheit dieser Taktik zu überzeugen. Der Antrag der Führung, in den Wahlen anzutreten, wurde abgelehnt. Luxemburgs Antwort an den Kongress war folgende:

«Wir verstehen und schätzen die Motive, von denen die Opposition gegen die Ansicht der Führung herrührt. Unsere Freude ist jedoch nicht vorbehaltlos. Genossen, ihr nehmt es mit eurem Radikalismus allzu leicht. Bei unserer ganzen stürmischen Ungeduld dürfen wir nicht die nötige Ernsthaftigkeit und die Notwendigkeit zur Reflexion verlieren. Das russische Beispiel gegen die Konstituante [d.h. Nationalversammlung] trifft hier nicht zu. Als die Konstituante auseinandergejagt wurde hatten unsere Genossen bereits eine Trotzki-Lenin-Regierung. Wir haben immer noch Ebert-Scheidemann.» (zitiert in Nettl, Rosa Luxemburg, S. 474, Übersetzung d. Red.)

Oberflächlich sah es so aus, als folgten die jungen SpartakistInnen dem Beispiel des revolutionären Russland: Hatten die Bolschewiki nicht auch die Konstituierende Versammlung aufgelöst? Der Unterschied, wie Luxemburg ausgeführt hatte, lag darin, dass die Bolschewiki dies taten, nachdem sie durch den Aufstand schon die Mehrheit der Sowjets gewonnen hatten und nachdem der Sowjetkongress die Macht ergriffen hatte. In Deutschland unterstützte beim Jahreswechsel 1918/19 immer noch eine Mehrheit der Massen die SPD und USPD und sah den Ruf nach einer Nationalversammlung als Schritt nach vorne. Die jungen SpartakistInnen machten die gleichen Erfahrungen wie die Bolschewiki durch. Lenin fasste diese Erfahrungen in Der linke Radikalismus zusammen:

«Zu Beginn der erwähnten Periode forderten wir nicht zum Sturz der Regierung auf, sondern schafften Klarheit darüber, dass ihr Sturz ohne vorherige Veränderungen in der Zusammensetzung und Stimmung der Sowjets unmöglich ist. Wir proklamierten nicht den Boykott des bürgerlichen Parlaments, der Konstituante, sondern sagten – seit der Aprilkonferenz (1917) unserer Partei sagten wir es offiziell im Namen der Partei –, dass eine bürgerliche Republik mit einer Konstituante besser ist als eine solche Republik ohne Konstituante, dass aber eine „Arbeiter- und Bauernrepublik“, eine Sowjetrepublik, besser ist als jedwede bürgerlich-demokratische, parlamentarische Republik. Ohne diese vorsichtige, gründliche, umsichtige und langwierige Vorbereitung hätten wir weder den Sieg im Oktober 1917 erringen noch diesen Sieg behaupten können. […] Erstens. Die deutschen „Linken“ haben entgegen der Meinung so hervorragender politischer Führer wie Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht bekanntlich schon im Januar 1919 den Parlamentarismus für „politisch erledigt“ gehalten. Wie bekannt, haben sich die „Linken“ geirrt. (Lenin, Der ‘Linke Radikalismus’, die Kinderkrankheit im Kommunismus, Lenin Werke Bd. 31, Kap. III. und VII.)

Der Boykott der Nationalversammlung von Seiten der KommunistInnen hiess, dass sie sich von den Massen isolierten, die an den Wahlen teilnahmen und sie unterstützen. Nicht zuletzt wegen der Einführung des allgemeinen Wahlrechts. Während die KommunistInnen die Wahlen boykottierten, nahmen 83% der Deutschen – die höchste Wahlbeteiligung in der Geschichte Deutschlands – daran teil. Sogar nach dieser Erfahrung hielt ein Teil der KPD an ihrer Position fest. Lenin antwortete ihnen:

«Wie kann man denn davon reden, dass der „Parlamentarismus politisch erledigt“ sei, wenn „Millionen“ und „Legionen“ Proletarier nicht nur für den Parlamentarismus schlechthin eintreten, sondern sogar direkt „gegenrevolutionär“ sind!? Es ist klar, dass der Parlamentarismus in Deutschland politisch noch nicht erledigt ist. Es ist klar, dass die „Linken“ in Deutschland ihren eigenen Wunsch, ihre eigene ideologisch-politische Stellung für die objektive Wirklichkeit halten. Das ist der gefährlichste Fehler, den Revolutionäre machen können.» (Ebd.)

Auch bezüglich der Frage der Regierung bezogen die jungen KommunistInnen eine linkradikale Position. Laut ihnen sollte die Kommunistische Partei den Sturz der Ebert-Scheidemann Regierung propagieren. Am Kongress warnte Luxemburg sie davor zu glauben, dass diese Parolenfassung etwas lösen würde. Die Regierung konnte nicht einfach gestürzt werden, sondern musste von unten, durch die Massen, untergraben werden. Einfach die Parole zu fassen, dass die Regierung gestürzt werden musste, ohne in einer Position zu sein, sie mit etwas anderem ersetzen zu können, würde, wie einige Wochen später klar werden sollte, die Bewegung nicht zum Sieg führen.

Es ist etwas hart, die jungen SpartakistInnen für ihre lingsradikale Position vollkommen zu verurteilen. Luxemburg hatte zuvor in ihren Artikeln eine sehr harte Haltung gegen die Einberufung der Nationalversammlung und gegen die Regierung gehabt, und sie hatte auch nicht viel Aufwand betrieben, um die jungen Kommunisten darin auszubilden, wie sie sich mit den Massen verbinden konnten. Aber sie verstand die Notwendigkeit, sich mit den Massen in Verbindung zu setzen, und dass die Kommunisten sowohl bezüglich der Regierung als auch bezüglich der Nationalversammlung flexibel vorgehen mussten.

Die linksradikalen Tendenzen wurden am Kongress auch in Form von zwei Anträgen ausgedrückt, welche forderten, dass die Mitgliedschaft in einer Gewerkschaft unvereinbar sein sollte mit der Mitgliedschaft in der Kommunistischen Partei. Laut den Antragstellenden sollten die KommunistInnen aus den Gewerkschaften aussteigen und alles tun, um sich ihnen zu widersetzen, da die Sozialdemokraten dort in der Mehrheit waren. Die Führung der Kommunistischen Partei schaffte es dann, eine Abstimmung darüber zu vermeiden, indem sie diese Frage zur Diskussion in einer Gewerkschaftskommission verschoben.

Die Führung der Partei realisierte, dass ein Boykott der Gewerkschaften sie ernsthaft von den Massen isolieren würde. Genau wie 1905 in Russland (wie Rosa es beschrieb), bedeutete die revolutionäre Bewegung in Deutschland, dass die neu zum politischen Leben erweckten Massen in die Gewerkschaften strömten, welche die grundlegendste und einfachste organisatorische Form der ArbeiterInnenbewegung darstellen. Vor der Revolution hatten die Gewerkschaften 1.5 Millionen Mitglieder gezählt. Ende Dezember 1918 war die Anzahl zu 2.2 Millionen, und gegen Ende des Jahres 1919 bis zu 7.3 Millionen Mitgliedern angestiegen. Laut der Führung der Kommunistischen Partei war es die Aufgabe der Kommunisten, in den Gewerkschaften zu arbeiten, sich dabei mit den Massen zu verbinden und diese dem politischen Einfluss der Sozialdemokraten zu entziehen. Aber aufgrund der Opposition unter den Mitgliedern der Kommunistischen Partei verging ein ganzes Jahr, bevor die KPD sich dazu entschied, in den SPD-dominierten Gewerkschaften zu arbeiten.

Während des gesamten Kongresses wurden Verhandlungen geführt mit VertreterInnen der Revolutionären Obleute, aber diese waren besorgt über die linksradikalen Tendenzen der KommunistInnen. Deswegen erhoben sie für ihren möglichen Beitritt eine Reihe an Forderungen, welche die KommunistInnen unterstützen sollten. Darunter jene, dass die Entscheidung, die Wahlen zu boykottieren, fallen gelassen werden musste; dass sie eine gleiche Vertretung in der Programm-Kommission erhalten sollten; und dass jeder Bezug zu den Spartakisten aus dem Parteinamen entfernt werden sollte. Wie Pierre Broué schrieb, waren das nicht Anforderungen, denen sich ältere Bolschewiki, und vermutlich auch nicht die älteren SpartakistInnen, widersetzt hätten:

«Aber für die Mehrheit des Kongresses waren sie nicht annehmbar, und deren ironische Haltung gegenüber diesen Verhandlungen war ausserdem eines der Symptome, die Radek am besorgniserregendsten fand.» (Broué, The German Revolution, s. 224, Übersetzung d. Red.)

Die Revolutionären Obleute entschieden sich, nicht neuen Kommunistischen Partei beizutreten, sondern schlossen sich der USPD an. Es war ein schwerer Schlag, der die KommunistInnen ernsthaft schwächte. Die Revolutionären Obleute waren die Gruppe mit der besten Verbindung zu den Arbeitern in den Fabriken in Berlin. Ohne sie hatten die KommunistInnen kein wirkliches Standbein in der industriellen Arbeiterklasse. Gleichzeitig bedeutete dies, dass die radikalsten ArbeiterInnen in Berlins Fabriken einer revolutionären politischen Führung beraubt und dem Einfluss der politisch gespaltenen Linken der USPD überlassen wurden.

Luxemburg konnte die Probleme sehen, aber sie war nicht besonders besorgt. Sie verglich die Situation mit einem neugeborenen Kind, das bei der Geburt schreit. Sie beschrieb Clara Zetkin die Niederlage der Führung bei der Abstimmung über die Teilnahme an der Verfassungsversammlung:

«Unsere Niederlage war lediglich der Triumph eines etwas kindischen, halb ausgegorenen, engstirnigen Radikalismus. Auf jeden Fall geschah das zu Beginn der Konferenz. Später wurde der Kontakt zwischen uns [der Exekutive] und den Delegierten hergestellt… eine ganz andere Atmosphäre [Resonanz] als am Anfang… Die Spartakisten sind eine neue Generation, frei von den kretinistischen Traditionen der „guten alten Partei“… Wir alle haben einstimmig beschlossen, die Angelegenheit nicht zu einer Kardinalfrage zu machen und sie nicht zu ernst zu nehmen.» (Zitiert in Nettl, S. 475, Übersetzung d. Red.)

Trotz den Schwächen der jungen Kommunistischen Partei war ihre Gründung international von grösster Bedeutung. Die russische Partei hoffte, sie würde endlich die Isolation der jungen Sowjetmacht brechen. Nun gab es eine Partei, die eine klare Position für die Russische Revolution bezog: «Sozialismus ist in dieser Stunde der einzige Rettungsanker der Menschheit. Über den zusammensinkenden Mauern der kapitalistischen Gesellschaft lodern wie ein feuriges Menetekel die Worte des Kommunistischen Manifests: Sozialismus oder Barbarei!» (Programm der Kommunistischen Partei Deutschlands, 1918)

Mit diesem Satz – «Sozialismus oder Barbarei» – formulierten Luxemburg und die KommunistInnen die Wahl, vor der die Menschheit stand.

Die Partei war gegründet, aber sie war noch lange nicht bereit, die Arbeiterklasse an die Macht zu führen. Luxemburg und die restliche Führung konnten nichts tun, ausser warten. Sie mussten hoffen, dass sie recht behielten und die jungen Mitglieder durch ihre Erfahrungen lernten und ihre linksradikalen Tendenzen aufgaben. Das Problem war, dass die Revolution erst begonnen hatte, aber Zeit war nicht auf der Seite der KommunistInnen. Die Konterrevolution in Deutschland, angeführt von der Sozialdemokratie, war viel besser organisiert und erfahrener als ihr russisches Gegenstück im Jahr 1917. Die Konterrevolution liess nicht auf sich warten und so stand die neue Partei unmittelbar nach ihrer Gründung vor einer entscheidenden Prüfung.

Der Spartakus-Aufstand
Die herrschende Klasse und die Spitze der SPD wurden ungeduldig. Der revolutionäre Aufruhr hatte lange genug gedauert, und es war Zeit, die Konterrevolution einzuleiten. Aber die ArbeiterInnen, besonders in Berlin, waren ebenfalls ungeduldig. Sie spürten, wie ihnen die Macht aus den Fingern entglitt. Diese wachsende Ungeduld auf beiden Seiten war die Kulisse für das, was später als «Spartakus-Aufstand» bekannt wurde, obwohl die SpartakistInnen die Bewegung weder gestartet noch organisiert hatten.

Anfangs Januar spitzte sich die Situation zu. Die USPD hatte sich aus der Regierung zurückgezogen und es gab Gerüchte, dass ein Militärputsch vorbereitet würde. Unterdessen ging die Hexenjagd gegen die SpartakistInnen weiter. Der Generalstab und die sozialdemokratischen Minister planten eine blutige Abrechnung mit den SpartakistInnen, die seit der Gründung der KPD für den Sturz der Regierung agitiert hatten. Das Ziel war es, mit der Revolution Schluss zu machen und den Weg für eine militärische «Lösung» zu bereiten. Der neue Verteidigungsminister Noske (SPD) war entschlossen, die konterrevolutionären Truppen in die Offensive zu führen.

Ihren Vorwand zur Offensive fand die Regierung in einer zweitrangigen Frage: Der Absetzung von Emil Eichhorn, des linken Polizeichefs von Berlin. Eichhorn war Mitglied der USPD und galt der Regierung als Gefahr, weil er eine Polizeitruppe von 2’000 ArbeiterInnen und SoldatInnen organisiert hatte, die der Revolution treu waren. Ihn auszuschalten war nicht nur eine Möglichkeit, sich des linken Eichhorn als Polizeichef zu entledigen. Ein Rücktritt von ihm war auch ein rotes Tuch für die linken ArbeiterInnen von Berlin. Es würde eine Revolte auslösen, wogegen das Militär mobilisiert werden könnte, um den Aufstand niederzuschlagen.

Eichhorn wurde am 4. Januar zum Rücktritt aufgefordert, nachdem die Regierung diverse falsche Anschuldigungen verbreitet hatte. Aber Eichhorn weigerte sich, mit der Begründung, er habe die Unterstützung der Massen. Er war angespornt von der Revolution wund würde nur zurücktreten, falls dies für die Revolution nötig sei.

Am Abend des 4. Januar traf sich die Führung der KPD, um über ihre Antwort auf die Provokation zu entscheiden. Sie wussten, dass der Versuch, die Regierung zu stützen, zu diesem Zeitpunkt verrückt gewesen wäre. Stattdessen schlugen sie einen Generalstreik vor. Broué zitiert einen namenlosen Kommunisten, der bei der Versammlung anwesend war:

«Es herrschte völlige Einigkeit, wie die Situation einzuschätzen war. Alle Anwesenden erachteten es als sinnlos, zu versuchen die Regierung zu übernehmen: Eine vom Proletariat unterstützte Regierung hätte keine zwei Wochen überlebt. Demzufolge waren sich alle Mitglieder der Zentrale [der gewählten Führung] einig, Parolen zu vermeiden, die den Sturz der Regierung implizierten.» (Zitiert in Broué, S. 240, Übersetzung d. Red.)

Luxemburgs Haltung war, dass selbst wenn der Sturz der Ebert-Regierung gelänge, es dennoch sinnlos wäre, weil die Landregionen nicht bereit gewesen wären, den Berliner ArbeiterInnen zu folgen. Die Situation hatte grosse Ähnlichkeiten mit den Julitagen in Russland 1917. Im Januar 1919 gingen die ArbeiterInnen in der Hauptstadt dem Rest des Landes weit voraus.

Das Berliner Exekutivkomitee der USPD veröffentlichte eine Resolution gegen die Absetzung Eichmanns, sobald sie davon Wind bekam. Sie trafen sich mit VertreterInnen der Revolutionären Obleute und den FührerInnen der KPD, um gemeinsam Massnahmen zu beschliessen. Die drei Gruppen einigten sich darauf, am 5. Januar eine Demonstration zu veranstalten. Hunderttausende ArbeiterInnen gingen auf die Strasse und marschierten zur Polizeizentrale.

Bewaffnete Arbeitergruppen besetzten die Redaktionsbüros des Vorwärts. Sie hatten der SPD noch immer nicht vergeben, dass diese ihnen ihre Zeitung «gestohlen» hatte. Sie wurden zwar dazu gebracht, das besetzte Gebäude zu verlassen. Aber bald darauf besetzten sie das Büro erneut, genauso wie die Redaktionsbüros von weiteren bürgerlichen Zeitungen. Die ArbeiterInnen besetzten auch noch weitere Gebäude, einige davon nahe beim Reichstag. Diese Aktionen waren nicht von den SpartakistInnen organisiert, wenn auch viele SpartakistInnen mitgemacht haben. Natürlich waren auch Provokateure dabei, aber es besteht kein Zweifel, dass die Situation die Frustration der Berliner ArbeiterInnen widerspiegelte.

Am nächsten Tag strömten 500’000 auf die Strassen, viele davon bewaffnet. In vielen Fabriken streikten die ArbeiterInnen. Es war eine der mächtigsten Demonstrationen in der Geschichte der Revolution. Die Situation erreichte ihren Höhepunkt. Später schrieb der sozialdemokratische Minister Gustav Noske:

«Grosse Arbeitermassen […] folgten dem Schlachtruf. Ihre liebste Parole „Nieder, Nieder, Nieder“ [mit der Regierung] erklang erneut. Ich musste den Demonstrationszug am Brandenburger Tor durchqueren, durch den Tiergarten und dann nochmals vor dem Generalstabsgebäude. Viele Marschierende waren bewaffnet. Mehrere Lastwagen mit Maschinenpistolen standen bei der Siegessäule. Wiederholt fragte ich höflich, ob ich passieren dürfe, da ich einen dringenden Auftrag zu erfüllen habe. Meiner Bitte folgend, erlaubten sie mir durchzugehen. Wenn diese Massen statt Schwätzer entschlossene und bewusste Führer gehabt hätte, dann wäre Berlin bis Mittag in ihrer Hand gewesen.» (Zitiert in Debate on Soviet Power, S. 248, Übersetzung d. Red.)

Während die Massen auf der Strasse waren, trafen sich VertreterInnen der USPD, der KPD (Pieck und Liebknecht) und der revolutionären Fabrikdelegierten in Berlin, um die nächsten Schritte zu klären. Sie hatten keinen Plan und keine Ahnung, in welche Richtung sie die Massen führen sollten.

Der oben zitierte Kommunist beschrieb die Situation folgendermassen:

«Die Massen waren bereits früh da, ab neun Uhr in der Kälte und im Nebel. Die Führung war irgendwo in einer Sitzung, sich am besprechen. Der Nebel wurde dichter und die Massen warteten immer noch. Aber die Führer waren immer noch am besprechen. Am Mittag wurde es noch kälter und man bekam Hunger. Und die Führer besprachen sich immer noch. Die Massen waren wie im Rausch vor Aufregung. Sie wollten etwas tun, etwas um ihr Delirium zu lindern. Aber niemand wusste was. Die Führer besprachen sich. Der Nebel wurde dichter und der Himmel langsam dunkel. Enttäuscht gingen die Massen zurück nach Hause. Sie hatten auf grosse Ereignisse gehofft, aber nichts getan. Und die Führer besprachen sich. Sie hatten sich im Marstall besprochen. Sie machten im Polizeihauptquartier weiter, und sie besprachen sich immer noch. Die Arbeiter standen draussen auf dem leeren Alexanderplatz, Gewehre in den Händen, mit leichten und schweren Maschinenpistolen. Drinnen besprachen sich die Führer. Beim Hauptquartier waren die Gewehre bereit, Matrosen sassen in allen Ecken und in den Räumen mit Fenster auf die Strasse bewegte sich eine brodelnde Masse Arbeiter und Soldaten. Drinnen sassen die Führer und besprachen sich. Sie sassen den ganzen Abend und die ganze Nacht und besprachen sich. Und am nächsten Morgen sassen sie immer noch besprechend da. Die Gruppen von der Siegesallee kamen zurück und die Führer sassen und besprachen sich immer noch. Sie besprachen und besprachen und besprachen sich.» (Zitiert in Broué, S. 242, Übersetzung d. Red.)

An dieser Sitzung wurde ein «Revolutionsausschuss» ins Leben gerufen. Es bestand aus VertreterInnen von USPD, KPD und den Revolutionären Obleuten unter der Führung von Georg Ledebour, Karl Liebknecht und Paul Scholze.

Die FührerInnen waren mit der gewaltigen Bewegung völlig überfordert und spürten, dass ihnen die Zeit davonlief. Man erzählte ihnen, dass sie auf die militärische Unterstützung von mehreren Quartieren zählen könnten. Die Information erwies sich später als unzuverlässig. Auf dieser Grundlage verabschiedeten sie eine Resolution über den Sturz der Regierung, die jedoch nie veröffentlicht wurde. Liebknecht, von der Stimmung mitgerissen, unterstützte den Vorschlag. Der einzige konkrete Vorschlag des Komitees war der Aufruf zu einer weiteren Demonstration am 6. Januar. An diesem Tag wurde der revolutionäre Enthusiasmus jedoch durch das Komitee gedämpft. Es zeigte sich, dass die Mehrheit der Berliner ArbeiterInnen bereit war zu streiken und zu demonstrieren, aber noch nicht, einen bewaffneten Aufstand zu starten. Und am Abend des 6. Januars war die Bewegung zu langsam. Sowohl das Zentralkomitee der ArbeiterInnen und SoldatInnen als auch das Exekutivkomitee des Berliner Rates stimmten der Absetzung von Eichhorn zu. Der Sozialdemokrat Noske wurde im Hauptquartier der Freikorps eingesetzt und bereitete den Gegenangriff vor. Der Schwung der Bewegung hatte nachgelassen. Die Arbeiterführer hatten die Chance verpasst.

Auch wenn sich Liebknecht gegen Verhandlungen mit der Regierung aussprach, dominierte im Revolutionsausschuss die Meinung, dass solche eröffnet werden sollten. Die USPD ging sogar so weit, dass sie in der Nacht des 6. Januars zu verhandeln begann. Ihr Ziel war ein Waffenstillstand, der die Evakuierung der besetzten Gebäude ermöglichen würde. Während die revolutionäre Bewegung von Stunde zu Stunde schwächer wurde, verstärkte sich entsprechend die Position der Regierung. Diese versuchte daher die Verhandlungen so lange wie möglich hinauszuzögern. Liebknecht besuchte die ArbeiterInnen im besetzten Vorwärts-Gebäude und erklärte ihnen, dass die USPD mit der Eröffnung der Verhandlungen mit der Regierung die Bewegung verraten habe: Alles was ihnen jetzt noch bliebe, sei bis zum Ende zu kämpfen. Am 8. Januar wurden die Verhandlungen unterbrochen und die Regierungen verkündete, dass nun auf Gewalt mit Gewalt reagiert werde. Im Reichstag wurde eine «sozialdemokratische» Armeeeinheit mit zwei Regimentern aus jeweils sechs Kompanien organisiert. Auf der Seite der Revolution wurde der Rote Soldatenbund aufgestellt. Die bewaffneten ArbeiterInnen wurden angehalten, auf die Strasse zu gehen. Auf den Strassen Berlins kam es zu gewaltsamen Kämpfen, die Situation stand kurz vor einem Bürgerkrieg. In den Versammlungen in den Fabriken sprach sich aber eine überwältigende Mehrheit der Arbeitenden für die Beendigung der Kämpfe aus.

Während des 8. und 9. Januar begannen die Regierungskräfte immer mehr besetzte Gebäude zurückzuerobern und belagerten das Vorwärts-Gebäude. Falls nötig sollte dieses auch mit Gewalt zurückerobert werden. Am Abend des 10. Januar, während die Verhandlungen mit der Regierung noch liefen, wurden Ledebour, ein Verhandlungsführer der USPD, und Ernst Meyer, der Vorsitzende des Spartakusbundes, verhaftet.

Am Morgen des 11. Januar begannen Regierungstruppen, das Gebäude der Vorwärts anzugreifen. Nach zwei Stunden hissten die BesetzerInnen die weisse Fahne und schickten eine Delegation, um die Bedingungen ihrer Kapitulation zu verhandeln. Die Mitglieder der Delegation wurden sofort verhaftet, den anderen wurden 10 Minuten gegeben, um sich zu ergeben. Mehrere Verhaftete wurden auf der Stelle ermordet.

In den Rängen der KommunistInnen kam es zu einer Krise. Radek setzte sich für einen geordneten Rückzug der Partei ein: Sie solle die Arbeitenden aufrufen, an die Arbeit zurückzukehren und anschliessend für die Wiederwahl in den Arbeiterräten kämpfen. Luxemburg sah zwar die Notwendigkeit eines Rückzugs, war aber der Meinung, dass die KommunistInnen diese Position nicht offen vertreten dürfen. Denn das würde die USPD-Führung in die Richtung drängen, vor der Regierung zu kapitulieren.

Luxemburg bewertete den Aufstand kritisch. Es sei zwar erfreulich, dass «die breitesten Massen des Proletariats in Berlin und in den Hauptzentren der Revolution im Reiche begriffen» hätten, dass die Wahl zwischen der Aufgabe des Kampfes für den Sozialismus oder dem Sturz der Ebert-Scheidemann Regierung liege. Aber die Bewegung zeigte auch Schwächen bei der Frage, wie der Kampf weitergeführt werden soll. Am 8. Januar 1919 schrieb sie:

«Was aber bei weitem nicht klar ist, worin noch die Schwäche und Unreife der Revolution an den Tag tritt, das ist die Frage, wie man den Kampf um die Wegräumung der Ebertschen Regierung führt, wie man die bereits erreichte Stufe der inneren Reife der Revolution in Taten und Machtverhältnisse umsetzt. Nichts hat diese Schwächen und Mängel so krass aufgezeigt wie die letzten drei Tage.» (Versäumte Pflichten, Gesammelte Werke Bd. 4)

Ihre scharfe Kritik traf dabei vor allem die Führung der Massen während des Januaraufstands. Sie kritisiert dabei besonders die Revolutionären Obleute und die Führung der USPD in Grossberlin, die die Massen alleine liessen und ohne deren Einvernehmen in die zähen Verhandlungen mit der Regierung trat.. Die Massen waren laut Luxemburg auf der Strasse und verlangten nach Führung, diese wurde ihnen aber verwehrt:

«Wenn die Massen auf die Strasse gerufen werden, um in Alarmbereitschaft zu sein, dann muss ihnen klar und deutlich gesagt werden, was sie zu tun haben, oder mindestens, was vorgeht, was von Freund und Feind getan und geplant wird. In Zeiten der revolutionären Krise gehören die Massen selbstverständlich auf die Strasse. Sie sind der einzige Hort, die einzige Sicherheit der Revolution. Wenn die Revolution in Gefahr ist – und das ist sie jetzt in höchstem Masse! –, dann ist es Pflicht der proletarischen Massen, dort auf der Wacht zu sein, wo ihre Macht zum Ausdruck kommt: auf der Strasse! Schon ihre Anwesenheit, ihr Kontakt miteinander ist eine Drohung und eine Warnung an alle offenen und versteckten Feinde der Revolution: Hütet euch!» (Ebd.)

Luxemburg rief zu Taten statt Worten auf: «Die Erfahrung der letzten drei Tage ruft den führenden Organen der Arbeiterschaft mit lauter Stimme zu: Redet nicht! Beratet nicht ewig! Unterhandelt nicht! Handelt!» (Ebd.)

Sie kritisierte dabei nicht eigenen VertreterInnen der KPD, die auch ein Teil der «Führung der ArbeiterInnenklasse» waren. Es wird aber gesagt, dass Luxemburg nach einem Treffen mit dem revolutionären Exekutivkomitee Liebknecht im Parteibüro traf und ihn wütend zur Rede stellte: «Karl, wie konntest du nur? Was ist mit unserem Programm?» (Nettl, S. 482)

Radek kritisierte die KPD aufs schärfste. In einem Brief an die Parteiführung, geschrieben am 9. Januar, erklärte er, dass die Partei in ihrem Programm «Was will der Spartakusbund» korrekterweise geschrieben hatte, dass sie nur die Macht ergreifen würden, wenn sie die Mehrheit der ArbeiterInnen hinter sich hätten. Dies war noch nicht der Fall. Im Brief kritisierte er die Vertreter der Partei im revolutionären Komitee scharf:

«In dieser Situation durfte die Samstag von den Revolutionären Obleuten beschlossen Aktion wegen des Anschlags der sozialpatriotischen Regierung auf das Polizeipräsidium nur den Charakter einer Protestaktion tragen. Die Vorderreihe des Proletariats, erbittert durch die Politik der Regierung, missleitet durch die Revolutionären Obleute, die ohne jede politische Erfahrung, nicht imstande sind, das Kräfteverhältnis im ganzen Reich zu übersehen, haben in ihrem Elan die Bewegung aus einer Protestbewegung zu einem Kampf um die Gewalt ausgestaltet. Das erlaubt den Ebert und Scheidemann, der Berliner Bewegung einen Schlag zu versetzen, der die ganze Bewegung auf Monate schwächen kann.» (Illustrierte Geschichte der Deutschen Revolution, S. 282)

Radek bestand darauf, dass die KommunistInnen die Massen offen über ihren Rückzug informieren müssten, um so den Schaden begrenzen zu können.

«Die einzige bremsende Kraft, die dieses Unglück verhindern kann, seid ihr, die Kommunistische Partei. Ihr habt genug Einsicht, um zu wissen, dass der Kampf aussichtslos ist, dass ihr es wisst, haben mir eure Mitglieder, die Genossen Levi und Dunckers gesagt… Nichts verbietet einem Schwächeren, sich vor der Übermacht zurückzuziehen. Wir haben im Juli 1917, obwohl wir damals stärker waren ihr jetzte, die Massen mit allen Kräften zurückgehalten, und als dies nicht gelang, sie durch rücksichtsloses Eingreifen aus einer bevorstehenden aussichtslosen Schlacht herausgezogen.» (Ebd.)

Aber die Führung der KPD schätzte die Situation anders ein, so auch Luxemburg. In ihrem Artikel «Die Ordnung herrscht in Berlin», welcher ihr letzter werden sollte, wertete sie die Bewegung aus. Sie schrieb, dass die Bewegung zwangsläufig in einer Niederlage enden musste. Die Niederlage war vor allem der mangelnden politischen Reife des Militärs geschuldet, was selbst wiederum ein «Symptom der allgemeinen Unreife der deutschen Revolution» war. Gleichzeitig sagte sie aber, dass die ArbeiterInnen nicht anders auf die Provokation der Regierung reagieren konnten.

«Vor die Tatsache der frechen Provokation seitens der Ebert-Scheidemann gestellt, war die revolutionäre Arbeiterschaft gezwungen, zu den Waffen zu greifen. Ja, es war Ehrensache der Revolution, sofort den Angriff mit aller Energie abzuschlagen, sollte nicht die Gegenrevolution zu weiterem Vordringen ermuntert, die revolutionären Reihen des Proletariats, der moralische Kredit der deutschen Revolution in der Internationale erschüttert werden.» (Die Ordnung herrscht in Berlin, Politische Schriften, Band 2)

Obwohl die KPD und Luxemburg schätzten, dass die Zeit nicht reif war für einen Sturz der Regierung, waren Luxemburgs Artikel nicht nur ein scharfer Angriff auf die Regierung, sondern auch das grösste Hindernis für den Fortgang der Revolution.

Luxemburg zufolge hatten die ArbeiterInnen nichts anderes tun können, als zu den Waffen zu greifen und der dreisten Provokation Widerstand zu leisten. Es war «Ehrensache der Revolution» und nötig, um die Konterrevolution nicht zum weiteren Vordringen zu ermuntern. Nach Luxemburg konnte die Revolution sich nur vorwärtsbewegen. Für sie konnte es keine taktischen, temporären defensiven Aktionen geben. Ein endgültiger Sieg würde durch eine Reihe von Niederlagen vorbereitet werden.

«Nun ist es inneres Lebensgesetz der Revolution, nie beim erreichten Schritt in Untätigkeit, in Passivität stehenzubleiben. Die beste Parade ist ein kräftiger Hieb. Diese elementare Regel jeden Kampfes beherrscht erst recht alle Schritte der Revolution.» (Ebd.)

Hier widersprach Luxemburg den Anweisungen von Radek und den Taktiken der Bolschewiki. Im Juli 1917 versuchten die Bolschewiki die ArbeiterInnen von Petrograd zu überzeugen, nicht auf die Strassen zu gehen, aus Angst, isoliert zu bleiben. Als sie scheiterten, nahmen sie an den Demonstrationen teil, Seite an Seite mit den ArbeiterInnen und versuchten die Demonstrationen so organisiert und diszipliniert wie möglich zu gestalten. Und als es offensichtlich wurde, dass sie sich nicht gegen die Konterrevolution halten konnten, organisierten sie einen möglichst geordneten Rückzug. Radek schrieb dem Zentralkomitee der KPD, um sie zu überzeugen, dass ein von der Partei organisierter Rückzug sehr viel weniger demoralisierend sein würde als wenn die Partei die Massen zu einem weiteren Kampf ermutige, der bloss in einer Niederlage enden würde.

Rosa Luxemburg konnte sich keinen Rückzug eingestehen, obwohl ihr klar war, dass der Kampf in diesem Moment nicht gewonnen werden konnte. Luxemburg zufolge war die Niederlage nicht nur der mangelnden Reife der Revolution geschuldet, sondern auch der Führung der Bewegung. Sie war jedoch überzeugt, dass die Massen diese Schwächen korrigieren würden. «Die Führung hat versagt. Aber die Führung kann und muss von den Massen und aus den Massen heraus neu geschaffen werden. Die Massen sind das Entscheidende, sie sind der Fels, auf dem der Endsieg der Revolution errichtet wird. Die Massen waren auf der Höhe, sie haben diese „Niederlage“ zu einem Glied jener historischen Niederlagen gestaltet, die der Stolz und die Kraft des internationalen Sozialismus sind. Und darum wird aus dieser „Niederlage“ der künftige Sieg erblühen.» (Ebd.)

Die Morde
Die SPD und die konterrevolutionären Truppen verschärften die Hexenjagd gegen Luxemburg und Liebknecht, was bedeutete, dass sie nicht mehr länger zu Hause schlafen konnten, sondern in verschiedenen Hotels übernachteten und auf die Unterstützung von FreundInnen angewiesen waren. Am 13. Januar druckte die SPD Zeitung «Vorwärts» ein Gedicht ab, welches die Spartakusführung der Feigheit bezichtigte, die sich verstecke, während ArbeiterInnen getötet wurden:

«Viel Hundert Tote in einer Reih’ –

Proletarier!

Karl, Rosa, Radek und Kumpanei –

es ist keiner dabei, es ist keiner dabei!

Proletarier!» (Illustrierte Geschichte der Deutschen Revolution, S. 293.)

Obwohl sie sich der Gefahr bewusst waren, weigerten sich Luxemburg und Liebknecht Berlin zu verlassen und sich zu verstecken. Sie fühlten, dass es ihre Pflicht war, bei den ArbeiterInnen zu bleiben. Das wurde ihnen zum Verhängnis. Luxemburg war sich der drohenden Gefahr sehr wohl bewusst. Am 25. Dezember schrieb sie Clara Zetkin, dass sie eine «unmittelbare Warnung» von offiziellen Quellen erhielt, «dass die Attentäter nach mir und Karl suchen und wir nicht zu Hause schlafen würden…». (zitiert in Nettl, S. 475)

Nach den Julitagen in Russland waren die Bolschewiki in einer ähnlichen Situation: Die Partei wurde verboten und es wurden Haftbefehle gegen einen Teil der Parteiführung erlassen. Lenin wollte vor Gericht erscheinen und den Prozess als Gelegenheit nutzen, um die politischen Ansichten der Bolschewiki zu repräsentieren. Seine ParteigenossInnen überzeugten ihn jedoch, sich in Finnland zu verstecken. Das hatte nichts mit Feigheit zu tun: Es war eine praktische Notwendigkeit.

Zahlreiche historische Beispiele zeigen, dass eine revolutionäre Partei in einer revolutionären Situation entscheidend ist, und innerhalb von dieser ist die Parteiführung von grösster Bedeutung. Individuen können keine Revolution erschaffen. Aber wenn die Massen sich bewegen, können Individuen eine entscheidende Rolle spielen, ob die Revolution sich auf die eine oder die andere Art entwickelt. Im Oktober, als die Bolschewiki darüber entschieden, ob sie einen Aufstand beginnen sollten, gab es immer noch Widerstand von Teilen der Führung. Es war Lenin, der diesen mit seiner organisatorischen und politischen Autorität in der Partei überwand. Das war keine Autorität wie man sie vom Militär kennt, sondern eine Autorität, die er sich über Jahrzehnte erarbeitete, in seine Ideen und Analysen in der Praxis getestet wurden. Luxemburg war zweifellos die höchste politische Autorität in der neuen Kommunistischen Partei Deutschlands. Und sie war vielleicht die einzige, welche die linksradikalen Tendenzen in der Partei hätte überwinden können. Aber es hat nicht sein sollen.

Am 12. und 13. Januar hielten sich Luxemburg und Liebknecht in einer Wohnung in Neukölln in Berlin auf und dann bei einem Sympathisanten in Wilmersdorf. Dort wurden sie am Abend des 15. Januars verhaftet, zusammen mit Pieck, der auch in der Wohnung war. Sie wurden zum Hotel Eden, die Hauptquartiere der Freikorps, gebracht, wo sie beide brutal misshandelt wurden. Liebknecht wurde zuerst hinausgebracht. Auf dem Weg hinaus schlug ihm ein Soldat namens Runge sein Gewehr in den Rücken. Er wurde zum Tiergartenpark gefahren, wo er erschossen wurde. Danach sagten die Soldaten, er wäre «bei einem Fluchtversuch» getötet worden.

Luxemburg war die Nächste. Auch ihr wurde mit einem Gewehrkolben auf den Kopf geschlagen und nachdem sie in das Auto gebracht wurde, das auf sie wartete, wurde ihr in den Kopf geschossen. Ihr Körper wurde in den Landwehrkanal im Tiergarten geworfen und wurde erst im Mai gefunden.

Die wichtigsten Führungsfiguren der deutschen Revolution wurden kaltblütig ermordet. Die Konterrevolution hatte der revolutionären Bewegung den Kopf abgeschlagen.

Niemand wurde für die Morde zur Verantwortung gezogen. Im Mai wurde die Karikatur eines Prozesses für die Schuldigen abgehalten. Der Soldat namens Pflugk-Hartung gab zu, dass er Liebknecht erschossen hatte, «als dieser versuchte, zu fliehen». Pflugk-Hartung wurde mit tosendem Applaus freigesprochen. Vogel, welcher für die ganze Operation verantwortlich war, gab zu, dass er Rosa Luxemburgs Leichnam in den Kanal in Tiergarten geworfen hatte. Er behauptete aber, dass jemand anderes sie erschossen hätte. Das Gericht konnte nicht entscheiden, ob sie schon vom Schlag gegen den Kopf gestorben war und Vogel wurde nur zu zwei Jahren und vier Monaten Gefängnis verurteilt. Er floh jedoch aus dem Gefängnis nach Holland, wo er blieb, bis sich die Lage beruhigte und er als freier Mann nach Deutschland zurückkehren konnte. Der Soldat Runge, der die Gefangenen meuchelte, wurde zu zwei Jahren Haft verurteilt.

Die KommunistInnen machten die SPD für die Morde verantwortlich und so wurden sie für immer zu einer Spaltungslinie zwischen SozialdemokratInnen und KommunistInnen. Ob der Befehl von der Parteispitze der SPD kam, konnte nicht festgestellt werden, aber sie haben zweifellos ein gesellschaftliches Klima miterzeugt, in dem diejenigen, welche die Morde durchführten, keinen Zweifel gegenüber der Einstellung der Regierung hegten. Die sanften Strafen bestätigen das. Die politische Verantwortung lag zur Gänze in den Händen der SPD-Führung. Sie verrieten die Revolution und waren verantwortlich für die Ermordung von Liebknecht und Luxemburg.

«Kein sozialdemokratischer Führer konnte direkt verantwortlich gemacht werden. Aber ihre moralische Verantwortung ist unermesslich. Zwei Tage zuvor hatte die „Vorwärts“ nichts geringeres als einen Mordaufruf an „Karl, Rosa und und Kompanei, nicht einer tot, nicht einer ist dabei“. Es waren Männer, die versammelt, bewaffnet und zum Schluss geschützt wurden von Noske und den sozialdemokratischen Ministern, die ihre Ermordung durchführten. Scheidemann sagte: „Ihr seht, was ihnen ihre Terrortaktik gebracht hat!“» (Broué, S. 257, Übersetzung d. Red.)

Auf die Morde reagierte die Bevölkerung wütend und schockiert. Während eines Treffens am selben Tag drückte der ArbeiterInnen- und Soldatenrat seine tiefe Verachtung über die Morde aus und protestierte gegen die terroristischen Exzesse seitens der Regierung im Zuge ihres Sieges über die KommunistInnen. Die revolutionäre Bewegung endete nicht am 15. Januar mit den Morden. Die Regierung lancierte eine Terrorkampagne, bei der mehrere Führungsfiguren verhaftet und ermordet wurden und Demonstrationen und Aufstände mit immenser Brutalität niedergeschlagen wurden. Viele tausend ArbeiterInnen wurden in den Kämpfen mit der Armee und den Freikorps unter der SPD-Führung getötet.

Die Konterrevolution hatte die Revolution für den Moment beendet und ihre Führung ermordet, aber die scheinbare Ordnung war nur vorübergehend. Luxemburgs letzter Artikel erwies sich als fast prophetisch bezüglich der revolutionären Kämpfe in den kommenden Jahren:

«‘Ordnung herrscht in Berlin!‘ Ihr stumpfen Schergen! Eure ‚Ordnung‘ ist auf Sand gebaut. Die Revolution wird sich morgen schon ‚rasselnd wieder in die Höh’ richten‘ und zu eurem Schrecken mit Posaunenklang verkünden:

‚Ich war, ich bin, ich werde sein!‘» (Die Ordnung herrscht in Berlin)