Griechenland: Eine erste Einschätzung der Wahlen vom 17. Juni

Während die gestrige Parlamentswahl einen sehr “fragilen” Sieg für die herrschende Klasse brachte, gewinnt die SYRIZA unter den Lohnabhängigen und der Jugend vor allem in den Großstädten Masseneinfluss.

Stärkste Partei wurde die konservative Nea Demokratia. Sie erhielt 29 Prozent der Stimmen (+ 11% im Vergleich zu den Wahlen am 6. Mai). Von den 52 Wahlbezirken wurde sie in 36 zur stärksten Partei gemacht. Auch in wichtigen Wahlbezirken wie Athen I, Thessaloniki, Piräus siegte die ND. Am stärksten schnitten die Konservativen in der Wählergruppe der über 55-jährigen ab. Hier erhielt sie 39 Prozent der Stimmen. Unter den 18-34jährigen wurde die ND nur von 20 Prozent gewählt, unter den 35-54jährigen von 24 Prozent.

Dieser Wahlsieg der ND ist nicht zuletzt das Ergebnis einer unvorstellbaren Angstmache seitens der bürgerlichen Parteien und der Medien. Diese Kampagne wurde von der “Demokratischen Linken” (DIMAR) voll und ganz mitgetragen. Die Argumentation der Bürgerlichen lautete: Bei einem Wahlsieg der SYRIZA fliegt Griechenland aus dem Euro und es folgt mit der Wiedereinführung der Drachme eine ökonomische Katastrophe. Diese Schmutzkübelkampagne fand ein Echo in den traditionell konservativen Teilen der griechischen Gesellschaft, die Angst hatten vor “Abenteuern” und der allgemeinen Ungewissheit im Fall eines linken Wahlsieges. Die ND stützte sich somit einerseits auf jene Teile der Gesellschaft, die noch über ein ordentliches Einkommen und Ersparnisse verfügen, und andererseits auf jene Schichten, die ihr Einkommen direkt aus Staatseinnahmen beziehen (Pensionisten, Beamte) und die ein unmittelbaren Staatsbankrott in Folge eines Wahlsieges der SYRIZA befürchteten. SYRIZA schaffte es offensichtlich nicht mit ihrem Programm, diesen Schichten die Sicherheit zu geben, dass eine Regierung der Linken in Athen mit ihrer Politik der Ablehnung des Memorandums das Land nicht ins Chaos führen würde und sogar die Lebensbedingungen der Bevölkerung verbessern könnte.

Was den Wahlsieg der ND außerdem begünstigt haben dürfte, war die relativ geringe Wahlbeteiligung. 37,5 Prozent der Stimmbrechtigten sind nicht zur Wahl gegangen. Das sind um 2,5 % mehr als bei den Wahlen am 6. Mai. Dies ist sehr überraschend angesichts der enormen Polarisierung vor den Wahlen. Abgesehen davon, dass viele nicht das Geld hatten, um in ihre Heimatdörfer und –städte zu fahren, um dort zu wählen, drückt dies wohl in erster Linie aus, dass viele Menschen im Programm der SYRIZA keine unterstützenswerte Alternative erkannten.

Auch wenn SYRIZA ihr Potential nicht ausschöpfen konnte, so ist sie doch der große Gewinner dieser Wahlen. Sie kam an die zweite Stelle mit 26,9 Prozent der Stimmen. In absoluten Zahlen erhielt sie 1,655,000 Stimmen. Das sind 600.000 Stimmen mehr als im Mai. Sie ist nun die stärkste Partei unter ArbeiterInnen, Arbeitslosen und unter den Jungen.

Laut Exit polls wählten 33% der 18-34jährigen und 34% der 35-54jährigen SYRIZA. In der Region Attika (Athen-Piräus), dem ökonomischen und politischen Zentrum des Landes, ist SYRIZA stimmenstärkste Partei. Im größten Wahlbezirk des Landes, in Athen II, kam sie auf 31,34% (im Mai waren es noch 21,82%). Auch in den anderen Großstädten Thessaloniki und Patras legte sie massiv zu. In Patras kam sie sogar auf 35,86%.

SYRIZA ist somit unangefochten zur stärksten politischen Stimme der Arbeiterklasse geworden.

Warum gewann SYRIZA nicht die Wahlen?

SYRIZA hat mit ihrer konsequenten Linie gegen das Spardiktat eine unvorstellbare politische Dynamik ausgelöst. Diese kann derzeit nur durch politische Eigenfehler der Führung wieder zunichte gemacht werden. Warum wurde SYRIZA aber nicht stärkste Partei bei diesen Wahlen? Die Ursache dafür ist in einer Kombination aus objektiven und subjektiven Faktoren zu sehen. SYRIZA hatte natürlich das gesamte politische System gegen sind. Die ND und alle rechten Parteien, die Führung der PASOK und von DIMAR, die griechischn und die internationalen Massenmedien, die zum offenen Sprachrohr der Troika mutierten, setzten sich alle zum Ziel die SYRIZA auf dem Weg zur Macht zu stoppen.

Auf ihre besondere Weise leistete auch die KKE, die bei diesen Wahlen massiv abgestraft wurde, ihren Beitrag dazu, indem sie völlig sektiererisch die SYRIZA attackierte. Durch ihre ablehnende Haltung gegenüber einer Zusammenarbeit mit der SYRIZA war es klar, dass die Option einer Regierung der Linken kaum eine Chance auf Realisierung hatte. Aus der Sicht von Teilen des Kleinbürgertums war damit ein alternatives Projekt unter der Führung der SYRIZA keine “realistische” Variante. Hätte sich die Führung der KKE dazu durchgerungen mit der SYRIZA ein Abkommen zu schließen und zusammenzuarbeit, wie dies im bürgerlichen Lager der Fall war, dann wäre nun eine Regierung der Linken wahrscheinlich möglich. Die KKE hat aber jede Form der Einheitsfront mit der SYRIZA kategorisch abgelehnt. Dieses politische Verbrechen wird die Arbeiterklasse der KKE nicht so schnell verzeihen.

Die Angst vor einer völligen Destabilisierung der Verhältnisse hat sicherlich viele Menschen davon abgehalten ihre Stimme der SYRIZA zu geben.

Doch die Führung der SYRIZA hatte offensichtlich auch nicht die richtigen Antworten, um diese Stimmung umzudrehen. Die Schmutzkübelkampagne der Bürgerlichen hätte von Anfang an mit einer breiten Kampagne in den Arbeitervierteln und Betrieben beantwortet werden müssen, mit dem Ziel tausende neue AktivistInnen in der SYRIZA zu organisieren.

Stattdessen beschränkte sich die Wahlkampagne auf relativ schlecht organisierte Kundgebungen, die man fälschlicherweise “Volksversammlungen” nannte. So erschien SYRIZA vom organisatorischen Standpunkt aus relativ schwach. Das Potential an neuen AktivistInnen, die sich in den letzten Wochen der Partei anschlossen, konnte bei weitem noch nicht ausgeschöpft werden. SYRIZA betrachtete diese neuen UnterstützerInnen vor allem als WählerInnen nicht aber als AktivistInnen.

Doch das Hauptproblem war zweifelsohne kein organisatorisches sondern ein politisches. Das von der Führung präsentierte Programm, das an der Basis nicht gründlich diskutiert werden konnte, gab den Lohnabhängigen eine neue Hoffnung, aber es war nicht ausreichend, um den schwankenden Schichten in der Jugend, im Kleinbürgertum oder unter den Pensionisten, die Angst zu nehmen bzw. ihnen Begeisterung einzuflößen.

Die Krise der KKE

Die Kommunistische Partei (KKE) verzeichnete nur 4,50% der Stimmen (im Mai waren es noch 8,48%). Sie hat rund die Hälfte ihrer Stimmen seit der letzten Wahl vor einem Monat verloren und wird nur noch mit 12 Abgeordneten im Parlament vertreten sein. Dieses Ergebnis ist sogar schlechter als jenes bei den Wahlen 1993 nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion.

Aber diese Niederlage kam für niemanden überraschend. Dieses Ergebnis ist die Rechnung für die Unfähigkeit der Führung der KKE, der Radikalisierung großer Teile der Arbeiterklasse einen Ausdruck zu geben. Dieses Wahlergebnis ist das schmerzhafte Resultat einer jahrelangen Politik, eine Arbeitermassenpartei mit den Methoden einer stalinistischen Sekte zu führen.

Die KKE hätte mit dem Ziel einer Regierung der Linken mit der SYRIZA ein Abkommen für die Wahlen schließen und gleichzeitig deren unzulängliches Programm von einem revolutionären Standpunkt aus kritisieren müssen. Damit hätte sie den Weg ebnen können für den Sturz des Kapitalismus. Doch die Führung der KKE wählte lieber eine sektiererische Herangehensweise gegenüber der SYRIZA.

Die AktivistInnen der KKE können es nur schwer verstehen, dass ihre Partei nach zwei Jahren massiver Klassenkämpfe, in denen sie an vorderster Front stand, so ein schlechtes Wahlergebnis einfuhr. Diese Niederlage ist der beste Beweis, dass es jetzt schleunigst einen politischen Kurswechsel und eine Veränderung an der Parteispitze braucht. Die jetzige Führung ist offensichtlich unfähig, die Lehren aus dieser Wahlschlappe zu ziehen. Mit dieser Politik wird die KKE sich auch in Zukunft nicht erholen.

Als marxistische Strömung in der SYRIZA sind wir der festen Überzeugung, dass es eine starke kommunistische Partei braucht, die eine sozialistische Revolution zum Sieg führen kann. Eine kommunistische Partei kann dieser Aufgabe aber nur gerecht werden, wenn sie sich auf ein revolutionäres, internationalistisches Programm stützt und nach demokratischen Prinzipien funktioniert. Stalinistischen Verzerrungen dieser Grundsätze haben in solch einer Partei nichts verloren. Die Schaffung einer leninistischen Strömung in der KKE, die am nächsten Parteitag den Kampf für einen Kurswechsel zu führen bereit ist, ist der einzige Weg, um diese Krise der Partei zu überwinden.

Perspektiven der Regierung Samaras

Samaras und die ND werden mit Unterstützung der PASOK und der DIMAR die neue Regierung bilden. Es war ein Fehler der Führung der SYRIZA zu glauben, dass die DIMAR ein glaubwürdiger Partner zur Bildung einer Regierung der Linken sein könnte. Und die PASOK hat einmal mehr unter Beweis gestellt, dass sie bereit ist sich sklavisch den Interessen der herrschenden Klasse unterzuordnen.

Hatte Samaras in der Wahlnacht noch vollmundig eine “Neuverhandlung” des Memorandums gefordert, ist von solch populistischen Tönen mittlerweile nichts mehr zu hören. Er wird den Kurs einer harten Sparpolitik uneingeschränkt fortsetzen, um so den griechischen Kapitalismus zu retten und in der Eurozone zu halten.

Samaras wird nun versuchen einige seiner wichtigsten Wahlkampflosungen umzusetzen. Dazu gehört die Abschaffung oder Einschränkung grundlegender demokratischer Rechte, wie das Demonstrations- und Streikrecht. Womit wir nun ebenfalls rechnen müssen, sind verstärkte Übergriffe gegen ArbeitsmigrantInnen. Diese werden sowohl von der Polizei wie auch von der Nazipartei „Goldene Morgendämmerung“, die es erneut ins Parlament schaffte, ins Visier genommen werden. Die Steuerpolitik wird weiter zugunsten der Unternehmen und der Superreichen reformiert werden. Die Politik der Lohnkürzungen wird fortgesetzt und “freie Wirtschaftszonen” mit “chinesischem” Lohnniveau und schlechten Arbeitsbedingungen werden eingerichtet werden. Sie sollen der gesamten griechischen Wirtschaft den Weg aus der Krise weisen. Der Einbruch bei den Staatseinnahmen in Folge der Rezession wird schon bald das nächste Sparpaket folgen lassen. Weitere Lohn- und Pensionskürzungen sind unvermeidlich. Im öffentlichen Dienst wird der Personalabbau jetzt mit voller Härte angegangen werden.

Die Troika wird unter den Bedingungen der Rezession und der hohen Staatsverschuldung in ganz Europa, der neuen Regierung in Athen keine substantiellen Zugeständnisse machen können. Bestenfalls wird Griechenland ein etwas längerer Zeitraum für die Rückzahlung der Schulden gewährt und das eine oder andere „Wachstumsprojekt“ finanziert. Doch diese Art von Krisentherapie wird nicht viel mehr Wirkung zeigen, als wenn man eine Krebserkrankung mit Aspirin behandelt. Ohne weitere Kredite und einen neuerlichen Schuldenschnitt kann Griechenland dem Staatsbankrott und der Rückkehr zu einer eigenen nationalen Währung nicht entkommen.

Die Krise vertieft sich in Portugal, Spanien und Italien immer mehr. Griechenland wird angesichts dieser Problemlage nur noch als „unnötige Belastung“ der starken Teile der Eurozone angesehen werden. Die ständige Notwendigkeit für weitere “Hilfspakete” wird nicht länger hingenommen werden. Zu groß ist die Befürchtung, dass Griechenland zu einem Präzedenzfall für andere hochverschuldete Länder wird, deren „Rettung“ aber noch bei weitem mehr Kosten verursachen würde. Zusätzlich zur Durchsetzung einer europaweiten Austeritätspolitik brauchen die deutschen Kapitalisten einen Sündenbock für die derzeitige Krise. Wer würde sich dazu besser eignen als Griechenland? Auch wenn sich jetzt alle zufrieden zeigen, dass eine rechte Regierung gewählt wurde, die Griechenland im Euro halten will, ist der Rauswurf Athens aus der Eurozone doch die wahrscheinlichste Perspektive.

Hätte SYRIZA die Wahl gewonnen und eine Regierung der Linken gebildet, dann wäre Griechenland nicht zuletzt aus politischen Gründen sofort auf dem Euro geworfen worden. Mit der Regierung Samaras wird die Troika etwas freundlicher verfahren. Der Ausstieg aus dem Euro wird wahrscheinlich mit ein paar finanziellen Zuwendungen und dem Versprechen auf eine mögliche Rückkehr in der Zukunft verbunden werden.

Die Hauptaufgabe, vor der die Regierung Samaras steht, ist die Verwaltung dieses Prozesses mit dem Ziel einen unkontrollierten Staatsbankrott zu vermeiden. Unter diesen Umständen werden die Arbeiterklasse und auch kleinbürgerliche Schichten schon bald die Notwendigkeit sehen den Kampf gegen diese Regierung auf der Straße zu führen. Die WählerInnen der SYRIZA sind jetzt großteils sehr enttäuscht, dass die ND und die PASOK wieder die Regierung stellen. Gleichzeitig erkennen sie aber auch, dass ihnen plötzlich mit der SYRIZA eine wertvolle politische Waffe zur Verfügung steht. Das ist im Vergleich zu den vergangenen Jahren ein wichtiger Fortschritt. Dies wird sich in den kommenden Kämpfen gegen Sparpakete, Massenentlassungen und die Einschränkung demokratischer Rechte positiv auswirken. Sobald die neue Regierung ihre Politik umzusetzen beginnt, wird der Klassenkampf erneut offen ausbrechen.

In diesen Kämpfen wird die SYRIZA als Massenpartei aufgebaut werden. Das ist die beste Vorbereitung im Kampf um die politische Macht. Im Zuge dessen gilt es auch die schweren Fehler, die die Parteiführung in der letzten Zeit gemacht hat, zu korrigieren. Dies betrifft die Taktik der Partei aber mehr noch Fragen ihres politischen Programms.

Die weitverbreitete Meinung unter vielen führenden Parteifunktionären, dass SYRIZA mit ihrem radikalen Diskurs viele Menschen verschreckt hätte, liegt völlig daneben. Es waren vielmehr die zusehends „gemäßigten“ Töne und der Mangel an einem kohärenten Programm zur revolutionären Umgestaltung der Wirtschaft sorgte für politische Verwirrung. Gerade Kleinbürger, Hausfrauen, Arbeitslose und Jugendliche ohne viel politischer Erfahrung hatten den Eindruck, dass „SYRIZA nicht weiß, was sie will“. Die Mehrheit dieser Menschen sind keine „gefestigten Konservativen“, aber sie haben Angst vor dem Risiko, das damit verbunden ist eine Partei zu wählen, die keine klaren Antworten zu bieten hat.

Wenn die Führung der SYRIZA als Gesamtes auf einen “moderaten” Kurs einschwenken sollte, wie dies schon jetzt öffentlich von einigen gefordert wird, dann wird das zu einer gewaltigen Enttäuschung unter den AktivistInnen und UnterstützerInnen der Partei führen. Damit würde sie aber nur das politische Leben von Venizelos (PASOK) und Kouvelis (DIMAR) verlängern. Seitens der bürgerlichen Medien wird der Druck zu politischer Mäßigung in der kommenden Periode weiter zunehmen. Die Linke soll so mundtot gemacht werden, bevor sie an die Macht kommt und die kapitalistische Ordnung gefährden kann.

Diesen gemäßigten Stimmen in der SYRIZA muss nun die Stimme der BasisaktivistInnen entgegengehalten werden. Was es jetzt braucht, ist ein außerordentlicher Kongress, wo sich die SYRIZA zu einer Massenpartei mit Strömungsfreiheit formiert. Bei einer solchen Konferenz müssen sich die Kräfte in der Partei, die sich auf den revolutionären Marxismus stützen, auf der Grundlage eines gemeinsamen Programms zusammenschließen.

• Jetzt ist kein Platz für Frustration, Skepsis und Pessimismus! Der Kampf geht weiter – und zwar unter besseren Ausgangsbedingungen als vor den Wahlen!

• SYRIZA muss die Pläne der neuen Regierung und der Troika entschlossen ablehnen!

• SYRIZA braucht ein revolutionär-marxistisches Programm!

• Die tausenden UnterstützerInnen der SYRIZA müssen jetzt in der Partei organisiert werden!

• In SYRIZA müssen die ArbeiterInnen und die Jugend das Sagen haben!

• Für einen demokratischen Parteikongress, auf dem sich SYRIZA zu einer Massenpartei mit Strömungsfreiheit konstituiert!

• Für eine Regierung der Linken auf der Grundlage eines Programms zur sozialistischen Umwälzung der Gesellschaft!

• Für eine internationalistische Politik! Für die Vereinigten Sozialistischen Staaten von Europa!

Translation: Der Funke (Austria)