Das schottische Referendum

Laut jüngster Meinungsumfragen leisten sich Befürworter der schottischen Unabhängigkeit und ihre Gegner ein knappes Kopf-an-Kopf-Rennen. Das für den 18. September 2014 angesetzte Referendum über die schottische Frage setzt vor allem die britische herrschende Klasse unter Druck.

Die trotz massive Unterstützung durch den rechten Flügel der Labour-Partei, den Konservativen und Liberalen erfahrende „Better Together“-Kampagne für eine Nein-Stimme beim Referendum kann sich ihres Sieges nicht sicher sein.

Vor dem Hintergrund der auch Grossbritannien erschütternden wirtschaftlichen Krise wächst die Unzufriedenheit und das Misstrauen in der Bevölkerung. Selbst für gut ausgebildete Akademiker gestaltet es sich schwer, Arbeit zu finden.

Gerade die letzten entscheidenden Wochen vor der Abstimmung zeigen ein rasant sich verändertes Stimmungsbild zugunsten der Ja-Kampagne auf, das den schottischen Nationalisten Aufwind gibt. Ihre politische Plattform, die SNP (Scottish Nationalist Party) und der von ihr gestellte Ministerpräsidenten Alex Salmond propagieren so die Möglichkeit, mit den extrem unbeliebten und zum Teil verhassten konservativen Tories samt ihrer Sparpolitik zu brechen. Die Erinnerung an Margaret Thatcher, die Schottland als Versuchsfeld für eine reaktionäre Steuerpolitik missbrauchte, sitzt noch tief. Man lasse die Zahlen für sich sprechen: in den 1950er Jahren hatten die Tories noch 50% der Parlamentssitze in Schottland inne, heute sind sie auf ein einziges Parlamentsmitglied geschrumpft.

Salmonds phrasenhafter und populistischer Wahlkampf entbehrt zwar jeglicher wirklicher Alternativen, dennoch versucht sich die SNP als „sozialdemokratisch“ zu präsentieren – ein taktisch kluger Zug. Die Arbeiterklasse hegt schon längst keine Illusionen mehr in die vom rechten Flügel dominierte schottische Labour-Partei, welche mit den konservativen Tories und den liberalen gemeinsame Sache macht und somit die Sparpolitik nur noch mitträgt und somit eine Stütze des Kapitalismus ist. Die im Jahr 2011 gewählte neue Labour-Parteispitze wird dominiert von Johann Lamont, der als Inbegriff reaktionärer Sparpolitik gilt. Die Rechnung dafür kam kurze Zeit später: Innerhalb weniger Wochen musste die Labour-Partei extreme Verluste in Umfragen einstecken, die Nationalisten dagegen konnten enorme Gewinne einfahren.

Es ist somit keine Überraschung, dass sich die Arbeiterklasse – bitterlich enttäuscht von der Labour-Führung und ihrer Politik – der falschen Hoffnung hingibt, ein unabhängiges Schottland wäre progressiver und würde den Kampf für ein sozialistisches Schottland weiter vorantreiben können.

Man betrachte das Programm der SNP: die Queen bleibt Staatsoberhaupt, Unternehmenssteuern werden gesenkt, um den Wirtschaftsstandort Schottland attraktiv zu machen, das Beibehalten des britischen Pfund erhält die Abhängigkeit von der Bank of England und auch ein NATO-Beitritt ist angedacht. Was für eine Art von „Unabhängigkeit“ soll das sein? Dies sind weder progressive Forderungen, noch lösen sie die Abhängigkeit von London und dem englischen Kapital.

In jedem Falle streben weder die Labour-Partei als Gegner noch die SNP als Befürworter der Unabhängigkeit eine Alternative jenseits kapitalistischer Kürzungs- und Sparpolitik an. Keine Rede von einer sozialistischen Alternative zu Nationalismus und damit einhergehender Teilung der Arbeiterklasse. Die Sorgen und Nöte schottischer Arbeiter sind identisch mit den Sorgen und Nöten deutscher, englischer oder spanischer Arbeiter. Arbeiter auf der ganzen Welt sehen sich konfrontiert mit hoher Arbeitslosigkeit, massiven Sparprogrammen ihrer Regierungen und immer drastischeren Lohnkürzungen.

Ein von Grossbritannien getrenntes Schottland teilt die Arbeiterklasse und lässt der herrschenden Klasse freie Hand, sie gegeneinander auszuspielen. Die von der SNP angedachte unternehmerfreundliche Politik würde dies noch verstärken. Auf beiden Seiten würden im Sinne der „Wettbewerbsfähigkeit“ Löhne und Errungenschaften der Arbeiter angegriffen und zerstört werden.

Ein sozialistisches Schottland?

Der Kampf für ein sozialistisches Schottland ist ein internationaler Kampf! Die reaktionäre stalinistische Utopie des Sozialismus in einem Land ist zum Scheitern verurteilt, wie uns das Beispiel der Sowjetunion selbst demonstrierte. Die Einheit der Arbeiterklasse – und zwar der internationalen Arbeiterklasse – ist unser Weg zu einem Europa, zu einer Welt jenseits kapitalistischer Ausbeutung und Spaltung.

Wie Lenin es in der Russischen Revolution tat, verteidigen wir das Recht der Völker auf Selbstbestimmung und in diesem konkreten Falle somit das Recht der Schotten auf Unabhängigkeit, auch wenn dies die Unterordnung der Interessen der Arbeiterklasse bedeutet. In Lenins Worten:

„Die Anhänger der Freiheit der Selbstbestimmung, das heisst der Freiheit der Lostrennung, zu beschuldigen, sie förderten den Separatismus, ist die gleiche Dummheit und die gleiche Heuchelei, wie Anhänger der Freiheit der Ehescheidung zu beschuldigen, sie förderten die Zerstörung der Familienbande.“

Wir lassen uns nicht spalten – weder durch Geschlecht, Religion oder nationale Zugehörigkeit!
Als Sozialisten verfolgen wir ein gemeinsames Ziel: uns von den Ketten des Kapitalismus zu befreien und die Entfaltungsmöglichkeiten der Menschheit im Sozialismus zu verwirklichen!