Ägypten: Weder Repression noch Verhandlungen stoppen die Revolution!

Es gibt Situationen, wo Massendemonstrationen ausreichen, um ein Regime zu Fall zu bringen. In Ägypten aber hat die Bewegung ihr vorrangiges Ziel, den Sturz von Mubarak und seinem Regime, auf diesem Weg noch nicht erreicht. Wie dies möglich wäre, zeigt Alan Woods. [PDF-Broschüre downloaden, kopieren und weiterverbreiten]

Die Bilanz der bisherigen Proteste liest sich wie folgt: 300 Tote und Tausende Verletzte. Die revolutionäre Bewegung hat die Regierung zum Rücktritt gezwungen und die ägyptische Wirtschaft lahm gelegt. Aber es ist bislang nicht gelungen das Regime von Hosni Mubarak zu stürzen. Auf der anderen Seite ist es dem Regime bisher nicht gelungen die alte Ordnung wieder herzustellen. Während wir diesen Text schreiben, scheint es, als herrsche in Ägypten derzeit eine Art Pattsituation vor.

 

Immer wenn das Regime glaubt, es könne wieder die Kontrolle über das Land erlangen, wird diese Hoffnung durch Massenproteste auf den Straßen zerstört. Entgegen allen Erwartungen geht die Bewegung weiter und breitet sich aus. Treibende Kraft dahinter ist der unvorstellbare Zorn, der sich gegen Mubarak richtet. Die ägyptische Gesellschaft zeichnet sich heute durch eine unfassbare Polarisierung aus.

Alle Kommentatoren haben gemeint, dass die Bewegung mittlerweile im Abflauen ist. Doch der dramatische Auftritt des ägyptischen Proletariats auf der Bühne der Geschichte markiert einen neuen Wendepunkt in dieser Revolution. Ägypten wird nun auch von einer gewaltigen Bewegung der ArbeiterInnenklasse bis auf die Grundfesten erschüttert. In einer Stadt nach der anderen kommt es zu Streiks und Betriebsbesetzungen. Das hebt die Revolution auf eine höhere Ebene.

Das Regime gibt nicht auf

Bis zum jetzigen Zeitpunkt hat der Staat versucht seine Kräfte neu zu gruppieren und aus der Angst vor Unsicherheit in Teilen der Bevölkerung Kapital zu schlagen. Doch der jetzige Aufschwung des Klassenkampfes hat diese Pläne wieder zunichte gemacht. In Teilen der Armee setzte sich bereits in den vergangenen Tagen verstärkt die Idee durch, dass nur der Abgang von Mubarak die Situation wieder beruhigen könnte. Die letzten Entwicklungen werden diesen Glauben weiter verfestigen.

Die herrschende Clique wäre sehr wohl bereit Mubarak fallen zu lassen, bis jetzt hat sie diesen Schritt aber noch nicht gewagt. Sie steht offensichtlich unter Druck von mehreren Seiten. Einerseits fordern Israel und Saudi-Arabien, dass Mubarak im Amt bleibt. Diese Position vertritt auch der CIA, der eng mit Israel und den Saudis zusammenarbeitet. Auf der anderen Seite machen Obama und das State Department Druck, dass Mubarak zurücktritt.

Im Zentrum dieses komplexen Kräfteparallelogramms steht Mubarak selbst. Er hat die Macht längst verloren, trotzdem bleibt er noch im Präsidentenamt. Der vorgeschlagene „Kompromiss“, wonach er formal im Amt bleibt, in Wahrheit aber keine Macht mehr ausüben kann, ist ein Ausdruck dafür, dass das Regime in einer Sackgasse feststeckt, die ihrerseits wiederum eine Widerspiegelung dessen ist, dass die Revolution selbst in der Sackgasse steckt.

In Tunesien zwang ein Volksaufstand Ben Ali ins Exil und stürzte die Regierungspartei, obwohl auch hier der Kampf noch längst nicht zu Ende gefochten wurde. Die Ereignisse in Tunesien haben viele Menschen in Ägypten überzeugt, dass das Regime von Mubarak ähnlich schwach sein müsse wie jenes von Ben Ali. Die Geschwindigkeit, mit der Ben Ali Richtung Saudi-Arabien flüchtete, machte den DissidentInnen in Ägypten Mut ebenfalls für Mubaraks Sturz auf die Straße zu gehen. Mubarak weigert sich jedoch weiter standhaft zu gehen.

Mubarak hat bewiesen, dass er aus einem anderen Holz geschnitzt ist als Ben Ali. Er gibt nicht so schnell auf, auch wenn er schon sehr angeschlagen ist. Er hat sich in den letzten Tag als schlauer Fuchs erwiesen. Er hat bereits angekündigt, dass er sich aus der Politik zurückziehen wird – jedoch erst am Ende seiner Amtszeit im September. Er will mit Würde abtreten. Dieses Versprechen nimmt ihm die Bevölkerung aber nicht ab. Doch Mubarak antwortet darauf mit der unverhohlenen Drohung: “Akzeptiert mein Angebot oder bereitet euch auf das Schlimmste vor.“

Hosni Mubarak erinnert an andere Figuren aus der Geschichte: Charles I. von England, Ludwig XVI. von Frankreich oder Zar Nikolaus von Russland. Der Dichter Blok beschrieb den Zaren während der letzten Monate der Monarchie als „stur, aber ohne eigenen Willen; nervös, aber unsensibel gegenüber allem; steif und zurückhaltend in seiner Rede, er war nicht mehr länger Herr über sich selbst. Er war nicht mehr imstande die Lage einschätzen zu können und machte keinen einzig bewussten Schritt, aber übergab sein Schicksal komplett in die Hände jener Leute, die er einst selbst an die Macht brachte.“ Diese Zeilen treffen Mubaraks Position in der Stunde seines Untergangs auf den Punkt.

Mubarak hat für jemand, der keine allzu guten Karten in der Hand hält, sein Spiel bisher durchaus gut gespielt. All seine „Zugeständnisse“ hatten den Zweck die Bewegung hinters Licht zu führen. Das „neue“ Kabinett setzt sich zur Hälfte aus Ministern der vorherigen Regierung zusammen. Suleiman, der ehemalige Kopf des Geheimdienstes, wurde zu Mubaraks rechter Hand erkoren. Das erinnert an ein altes französisches Sprichwort: „Plus ça change, plus c'est la même chose”: Je mehr sich die Dinge ändern, desto mehr bleiben sie wie sie waren.

Indem das Regime einige Zugeständnisse anbot, versuchte es die revolutionäre Bewegung zu spalten und einen Keil zwischen die aktiven Revolutionäre und die passiven Schichten der Bevölkerung zu treiben, die das Chaos fürchten und eine Rückkehr zur “Normalität” wollen. Am 2. Februar kämpften die beiden Seiten um die Kontrolle auf dem Tahrir Square. Mubarak hoffte, dass die revolutionäre Bewegung diesen symbolträchtigen Platz freigeben müsste, doch seine Rechnung ging nicht auf. Die Revolution konnte den Platz verteidigen und dadurch ihr Selbstbewusstsein weiter steigern.

Hosni Mubarak kämpft noch immer um sein politisches Überleben. Suleiman kämpft um das Überleben des Regimes. Und der Imperialismus kämpft um das Überleben seines Systems und seiner Marionettenregime in der gesamten arabischen Welt. Die Angst vor einem Dominoeffekt ausgehend von Tunesien und Ägypten ist groß.

Am Ende des Tages mag der alte Mann aus “gesundheitlichen Gründen” in Pension gehen, doch bislang hat er sich als extrem stur gezeigt und seine persönlichen Interessen und die des Regimes über die des Imperialismus gestellt. Vor genau 30 Jahren wurde Anwar Sadat, der Vorgänger von Mubarak, von seiner eigenen Leibwache ermordet. Das könnte heute wieder passieren. Doch noch fürchtet die Clique, die die Armee und den Staatsapparat kontrolliert, diesen Schritt. Mubaraks Ende würde alle Dämme brechen lassen, und sie haben Angst, dass die folgende Flutwelle sie alle hinwegspülen könnte.

“Verhandlungen”

Die herrschende Klasse verfügt über mehrere Strategien zur Niederschlagung der Revolution. Wenn es ihr nicht mit den Mitteln der Gewalt gelingt, wird sie zu einer politischen List greifen. Das alte Regime versuchte den Aufstand am 2. Februar mit Gewalt zu zerschlagen. Die Niederlage am Tahrir Square hat der herrschenden Clique aber den Nerv gezogen. Mubarak ist seither von der Bildfläche verschwunden. Hinter verschlossenen Türen haben die Herrschenden beratschlagen, wie es weitergehen soll. Und all die Zeit hat das Telefon geklingelt, weil Washington Konsequenzen einforderte. Denn es sind die USA, die für Mubarak die Rechnung zahlen müssen.

Nach der Schlacht am Tahrir Square blickte das Regime der Niederlage ins Gesicht. Und wenn die herrschende Klasse alles zu verlieren droht, dann setzt sie immer auf eine Politik der Zugeständnisse. Spät aber doch erkannte die herrschende Clique, dass sie einen Deal mit den Führern der Opposition machen muss. Der Bevölkerung musste ein anderes Gesicht präsentiert werden. Mubarak wurde still und heimlich zur Seite geschoben, und Suleiman und die Generäle und Minister gaben sich nun kompromissbereit. Doch sie streben einen „Kompromiss“ an, bei dem sie ihre Macht und ihre Privilegien behalten können.

Plötzlich ist das Regime zu Gesprächen bereit. Suleiman machte der Opposition ein Verhandlungsangebot. Eine Woche zuvor sprachen sie noch die Sprache der Tränengasgeschoße und der Prügel, nun setzen sie auf Handschlag und grüne Verhandlungstische. Damit folgte das Regime den guten Ratschlägen ihrer Freunde in Washington und London. Die staatlichen Repressionsapparate und der Mob, der für Mubarak rekrutiert wurde, sollten nicht länger zum Einsatz kommen, ihre Herren haben es für besser gefunden, dass sie außer Sicht bleiben. Diese Herren sind wie der Besitzer eines Kampfhundes, der diesen vorerst einmal zurückpfeift.

Auf der Straße wurde das Regime besiegt, deshalb suchen die Herrschenden nun auf dem Verhandlungsweg einen Deal und versuchen die Oppositionsführer zu legen, damit diese die Massen in die Irre führen. Die Idee ist leicht zu durchschauen. Sobald die Initiative bei den “Verhandlern” liegt, werden die Massen auf die Rolle passiver Zuschauer reduziert. Die Entscheidungen werden woanders gefällt, hinter verschlossenen Türen, hinter dem Rücken der Bevölkerung. Und was können die Menschen dann noch tun? Sollen sie auf dem Tahrir Square bleiben und ewig ihre Slogans skandieren?

Obama und die EU sagen zu Suleiman: “Warum Gewalt anwenden? Das bringt nichts und schafft nur eine öffentliche Stimmung für die, die uns jetzt Probleme machen. Das kann sogar zur Spaltung der Armee führen, und dann bist du wirklich in einer schwierigen Situation. Es ist besser, wenn du die Demonstranten auf dem Platz allein lässt. Dann musst du nur warten, bis sie von allein müde werden. Der Bewegung wird wie einem Luftballon über kurz oder lang die Luft ausgehen. Nach einiger Zeit wird nur noch eine kleine Minderheit dort sein, und ihr könnt dann mit denen machen was ihr wollt.” Das Problem ist nur, dass die Bewegung bisher nicht bereit war den Kampf aufzugeben. Das Regime zählt nun darauf, dass die sogenannte „Führung“ der Opposition imstande sein wird die Massen zu zügeln.

Wofür steht die Muslimbruderschaft?

Die Führung der Protestbewegung ist wie die Bewegung selbst heterogen und setzt sich aus verschiedenen Elemente sowie verschiedenen ideologischen Tendenzen zusammen. In diesem Stadium einer Revolution ist das Gefühl der Einheit der Bewegung sehr stark ausgeprägt. Einer der Sprecher der Jugend vom Tahrir Square erzählte Al Jazeera, dass die Forderungen der Jugend nicht "klassenbezogen" seien, da alle Bereiche der Gesellschaft von Korruption und Repression betroffen sind. Dies ist typisch für die frühen Phasen der Revolution.

Zunächst erscheint jede Revolution wie ein großer Festzug der nationalen Einheit. Die Illusion wird geschaffen, dass alle Klassen in einem gemeinsamen Kampf für den Wandel vereint seien. Doch wenn der Kampf fortschreitet, wird sich das ändern. Die Bewegung radikalisiert sich immer mehr, und einige der Elemente, die in den frühen Stadien eine führende Rolle gespielt haben, werden dann nicht mehr mitmachen. Einige werden den Kampf aufgeben, andere wechseln die Seite. Diese Fliehkräfte entsprechen unterschiedlichen Klasseninteressen in der Bewegung.

Die Armen, die Arbeitslosen, die ArbeiterInnen haben kein Interesse an der Aufrechterhaltung der alten Ordnung. Sie wollen nicht nur Mubarak sondern das gesamte Regime der Unterdrückung, Ausbeutung und Ungleichheit beseitigen. Aber die bürgerlichen Liberalen sehen im Kampf für die Demokratie den Weg zu einer komfortablen Karriere im Parlament. Sie haben kein Interesse die Revolution zu Ende zu führen oder die bestehenden Eigentumsverhältnisse in Frage zu stellen.

Dieser Prozess der inneren Differenzierung ist in Ägypten bereits heute sichtbar. Durch das Angebot verhandeln zu wollen, wollte Suleiman den moderaten (d.h. bürgerlichen) Sektor der Opposition auf seine Seite ziehen. Er bot sogar der Muslimbrüderschaft, einer verbotenen Organisation, einen Platz am Verhandlungstisch an. Zweck dieses Manövers ist es, Zeit zu gewinnen, Verwirrung zu stiften und die Opposition dazu zu bringen in eine Koalition mit der Oligarchie einzutreten – mit dem einzigen Ziel das System zu stabilisieren und zu retten. Es gibt ein altes Sprichwort: Wenn du mit dem Teufel ein Süppchen kochst, dann nimm einen langen Löffel. Aber die Herren der respektablen Opposition fielen in ihrer unanständigen Eile sogar in den Topf hinein.

Eine ernsthafte revolutionäre Führung würde verstehen, dass diese Einladung ein Eingeständnis der eigenen Schwäche seitens des Regimes darstellt. Sie hätte diese Situation genützt um weiter in die Offensive zu gehen und das Regime zu stürzen. Sie würde dem Regime keine Zeit geben, um Luft zu holen und seine Kräfte neu zu sammeln. Aber ein Sektor der Opposition ist weder revolutionär noch ernsthaft. Für diese Kräfte ist die Massenbewegung nur ein Trumpf im Ärmel, eine Drohung ans System, um an ein paar Krümel heran zu kommen.

Die Muslimbruderschaft erklärte, sie würde, solange Mubarak nicht zurücktritt, nicht mit der Regierung verhandeln. El Baradei hat die Pro-Mubarak-Demonstrationen als kriminelle Handlungen eines verbrecherischen Regimes beschrieben. Aber in dem Moment, als das Regime mit seinem kleinen Finger der Führung der "Opposition" zuwinkte, vergessen alle ihre mutigen Worte und setzten sich mit Suleiman an einen Tisch.

Bezeichnenderweise änderten auch die Führer der Muslimbruderschaft ihre Meinung und beteiligten sich an der netten kleinen Party des Regimes. Einer ihrer Anführer ging auf den Tahrir Square, wo die DemonstrantInnen Schulter an Schulter standen und die Besetzung des Platzes durch die Panzer verhinderten. Er rief die Menschen dort dazu auf nur nicht mit der Armee in Konflikt zu kommen. Es ist offensichtlich, dass die Islamisten von den revolutionären Massen mindestens genau so viel Angst haben wie vom Regime selbst.

Die Armen und Entrechteten, die die Brüderschaft unterstützen, sind eine Sache. Die Führer dieser Partei sind jedoch ein ganz anderes Kapitel. In den 1980er Jahren waren die Führer der Brüderschaft wesentliche Nutznießer der wirtschaftlichen Liberalisierung, der Politik des infitah oder der „Öffnung“, mit dem Sadat und Mubarak den staatlichen Sektor abgebaut haben und das Privatkapital stützten. Eine Studie über die Brüderschaft zeigt, dass ihr zugehörige Geschäftsleute 40 Prozent aller privaten wirtschaftlichen Unternehmungen kontrollieren. Sie sind Teil des kapitalistischen Systems und haben ein großes Interesse dieses zu verteidigen. Ihr Verhalten wird nicht vom Koran sondern durch ihr Klasseninteresse bestimmt.

Neben den Muslimbrüdern sitzen am Verhandlungstisch bestimmte Individuen, die sich die „Vertreter der Jugend des Tahrir Square“ nennen. Da sie von niemanden gewählt wurden, ist es schwer zusagen, wen und wessen Interessen sie wirklich vertreten, außer jedenfalls sich selbst und ihre eigenen. Aber ihre Präsenz am Verhandlungstisch ist für das Regime wichtig, es kann sich vor den Fernsehkameras als vernünftig und diskussionsbereit in allen Fragen präsentieren. Auf diese Weise werden die Menschen, die auf dem Platz verharren, in der öffentlichen Meinung zu „Extremisten“, die keine Bereitschaft haben in den Dialog zur Rettung der Nation einzutreten.

Die Gesetze der Revolution

Die Bewegungsgesetze einer Revolution haben viele gemeinsame Merkmale mit jenen des Krieges zwischen den Nationen. Krieg ist kein kontinuierlicher Kampf. Es gibt eine Reihe von Schlachten, die gewonnen oder verloren gehen, oder am Ende sogar ergebnislos enden. Aber zwischen den Schlachten gibt es lange Phasen der Inaktivität, in denen scheinbar nichts passiert. Aber die Dinge sind trotzdem in einem konstanten Fluss. Bestimmte Schichten werden müde und fallen in Inaktivität. Aber sie werden ständig von neuen, frischen Schichten, die in den Kampf treten, ersetzt. Die Revolution hat noch erhebliche Reserven. Diese Reserven mobilisieren sich jetzt zum Kampf.

Zu sagen, dass eine Revolution begonnen hat, heißt nicht, dass sie abgeschlossen sei, und schon gar nicht wollen wir damit behaupten, dass der Sieg gesichert sei. Die Revolution ist ein Kampf lebendiger Kräfte. Die Konterrevolutionäre haben viel zu verlieren, und sie handeln intelligent und entschieden. Die Führung der Revolution ist jedoch gespalten und spricht nicht mit einer Stimme. Das ist das Hauptproblem. Das Regime ist sich dieses Zögerns bewusst und konnte sich wieder erholen und revitalisieren. Es fasste wieder Vertrauen und verdoppelte seine Manöver und Intrigen, wobei es sich auf die gemäßigten Teile der Opposition zu stützen vermag.

Dies war eine gefährliche Situation. Wenn die Bewegung hier stehen geblieben wäre, wäre das Vertrauen auf den Straßen zurückgeebbt und das Regime hätte wieder die Initiative an sich reißen können. Das war das Ziel von Suleiman, als er sich mit der Opposition an einen Tisch setzte. Diese „Verhandlungen“ waren nur ein Trick des Regimes, um Zeit zu gewinnen. Diese Verschiebung hätte für die Revolution fatale Konsequenzen haben können.

Am 7. Februar waren die Banken zum ersten Mal seit Beginn der Proteste geöffnet, die Börse blieb aus Angst vor Panikverkäufen geschlossen. Diese pessimistische Sicht bestätigte sich schon am nächsten Tag. Unabsichtlich verkalkulierte sich das Regime als es die Wiederaufnahme der Geschäfte anordnete. Dies machte es den ArbeiterInnen und Studierenden möglich wieder zusammen zutreffen, Massenversammlungen abzuhalten, die Situation zu besprechen und kollektive Maßnahmen zu setzen. Was durch die erzwungene „Normalisierung“ erreicht wurde: Studierende agitieren auf dem Campus, ArbeiterInnen traten in den Streik, besetzten die Betriebe und warfen die verhassten Manager und offiziellen Gewerkschaftsvertreter auf die Straße.

Das plötzliche Auftreten der Lohnabhängigen, als einer unabhängigen revolutionären Kraft, hat alles geändert. Am Dienstag gab es die bisher größten Demonstrationen. Unzählige Menschen gingen auf die Straßen und Plätze Ägyptens - von den Wüstegebieten an der libyschen Grenze im Westen bis zu der nördlichen Stadt El Arisch auf dem Sinai im Osten. In Kairo, Alexandria, den Städten im Nildelta, dem industriellen Gürtel um Mahalla-el-Kebir und der Stahlstadt Helwan kamen die Massen auf die Straßen und riefen „Tod Mubarak!“ und „Hängt Mubarak!“

Die Revolution kann nicht stillstehen

Eine Revolution kann nicht stillstehen. Sie muss ständig voranschreiten, den Feind bedrängen, eine Position nach der anderen erstürmen, bis die alte Ordnung völlig umgestürzt ist. Wenn sie zögert, ist sie verloren. Marx wies darauf hin, dass die Pariser Kommune scheiterte, weil sie nicht auf Versailles marschierte. Das gab den konterrevolutionären Kräften Zeit sich neu zu gruppieren und eine entscheidende Gegenoffensive gegen das revolutionäre Paris vorzubereiten.

Während der letzten zwei Wochen lag die Macht mehrmals auf der Straße. Doch die Führung der Bewegung wusste nicht, was sie damit machen sollte. Die Vorstellung, dass es ausreicht eine möglichst große Anzahl von Menschen auf dem Tahrir Square zu versammeln, war verhängnisvoll. Erstens wird damit die Frage der Macht im Staat ignoriert. Aber dies ist die zentrale Frage, die alle anderen Fragen entscheidet. Zweitens ist es eine passive Strategie, während die Revolution eine aktive und offensive Strategie verlangt.

Es stimmt, dass im Krieg Verteidigung in Offensive umgesetzt werden kann. Ein entscheidender Moment war am Donnerstag und Freitag. Nachdem die Revolutionäre die Angriffe der Konterrevolution abgewehrt hatten und wieder die Initiative ergriffen, hätten sie in die Offensive gehen müssen. Indem man die Aktion am Freitag auf eine Großdemonstration auf dem Tahrir Square beschränkte, überließ die Bewegung die Initiative aber wieder dem Regime.

Suleiman spielt auf Zeit, denn die Zeit ist nicht unbedingt auf der Seite der Revolution. Die Gesellschaft kann nicht unbegrenzt in einer chaotischen Situation leben. Allein im Tourismus gehen täglich geschätzte 300 Mio. € verloren. Brot wird mit der Zeit in den Läden knapp. Menschen können nicht zur Arbeit. Die Löhne werden nicht bezahlt. Einzelne werden beginnen die Demonstrationen für das Chaos verantwortlich zu machen. Der Ruf nach Ordnung kann unter den gegebenen Bedingungen auf fruchtbaren Boden fallen. Es gibt gewisse Anzeichen dafür, dass dieser Prozess bereits begonnen hat.

Ein Bericht auf Al-Jazeera beschreibt die Lage so:

„Es war klar, dass die Regierung versuchen wird, ein Gefühl der Normalität in die Stadt zurück zu bringen; Unternehmen und Banken wurden veranlasst am Sonntag wieder zu öffnen, und die Armee war darauf bedacht, alle Zeichen der Zwietracht, bis auf die Menge auf dem Platz zu entfernen. Männer in fluoreszierenden Westen säuberten sogar Schutt und Müll von den Straßen, auf denen nur Nächte zuvor DemonstrantInnen gestorben sind.“

Glücklicherweise erkannte der revolutionärste Flügel der Opposition die Gefahr. Im gleichen Bericht von Al Jazeera wird ein jugendlicher Aktivist wie folgt zitiert:

„Aber während hochrangige Persönlichkeiten der Opposition einen Übergang mit Mubaraks rechter Hand, dem ehemaligen Geheimdienstchef und neu ernannten Vizepräsident Omar Suleiman, verhandeln, bleiben Mohammed Sohail und die Männer mit der Hoffnung auf einen kompletten Umsturz auf den Dächern verschanzt. Nach dem Angriff der Schlägertruppen am Mittwoch sind sie noch überzeugter, dass es keine Verhandlungen mit Mubarak geben könne. ‚Er versteckt einen Dolch hinter seinem Rücken.`“

Diese Worte beschreiben die tatsächliche Situation sehr gut.

Die Rolle der Führung

Die Revolution in Tunesien und Ägypten entstand in den Tiefen der Gesellschaft. Sie wurde nicht von den bestehenden Parteien oder führenden Oppositionspolitikern organisiert. Diese standen völlig abseits und haben diese Bewegungen nicht vorhergesehen. Dementsprechend unvorbereitet waren sie beim Ausbruch der Proteste. Der „spontane“ Charakter der Revolution hat einige in der Linken zu dem Schluss kommen lassen, dass dadurch die Theorien des Anarchismus eine Bestätigung in der Praxis finden würden. Doch das Gegenteil ist der Fall.

Das Argument, es brauche keine Führung, entbehrt angesichts der Ereignisse in Ägypten jeglicher Grundlage. Selbst in einem halbstündigen Streik in einer Fabrik gibt es immer eine Führung. Die ArbeiterInnen werden aus ihren Reihen einige KollegInnen auswählen, die den Streik organisieren. Diejenigen, die gewählt werden, sind keine zufälligen, willkürlich ausgesuchten Elemente, sondern im Regelfall die mutigsten und intelligentesten Teile der Belegschaft mit der größten Erfahrung.

Die Führung ist ein extrem bedeutendes Element in jedem Krieg. Was nicht heißt, dass es das einzige Element darstellt. Selbst die beste Führung kann einen Sieg nicht garantieren, wenn die objektiven Bedingungen ungünstig sind. Im Amerikanischen Bürgerkrieg hatten die Südstaaten die weit besseren Generäle als die Nordstaaten, was auch ihre anfänglichen Siege erklärt. Doch die Nordstaaten verfügten über eine weit größere Bevölkerung und vor allem über eine starke industrielle Basis und viel Geld. Diese Kombination garantierte letztendlich den Sieg.

Eine entscheidende Rolle in jeder Revolution spielt die Jugend. Am Anfang setzt sich immer die Jugend, die anders als ältere Generationen weitgehend frei ist von Vorurteilen, Angst und Skepsis ist, als erstes in Bewegung. In Ägypten haben wir das in den letzten Wochen sehr gut beobachten können. Die Jugend steht auch dort an der Spitze der Bewegung. Es sind Jugendliche ohne Arbeit und ohne Zukunftsperspektive. Sie haben nur eine Hoffnung: eine tiefreichende Umwälzung der Gesellschaft. Sie haben jegliche Angst verloren und sind bereit ihr Leben im Kampf für Freiheit und Gerechtigkeit zu geben.

Die Jugend und die revolutionärsten Elemente haben die Sorge, dass die Bewegung von “gemäßigten Kräften” gekidnappt wird, die mit dem Regime in Verhandlungen getreten sind. Doch die Frage bleibt: wie soll die Revolution weitergehen? Was tun? Die DemonstrantInnen haben alles getan was möglich war. Doch die Grenzen der bisher verfolgten Taktik werden von Stunde zu Stunde augenscheinlicher.

Um die Revolution zum Sieg zu führen, braucht es eine weitere Kraft. Diese Kraft kann nur die ArbeiterInnenklasse darstellen.

Die Rolle des Proletariats

Das wirtschaftliche Wachstum Ägyptens in den letzten Jahren war eine sehr positive Entwicklung aus marxistischer Sicht, weil es die ArbeiterInnenklasse in diesem Land massiv gestärkt hat. Doch Wachstum allein kann die grundlegenden Widersprüche der ägyptischen Gesellschaft nicht lösen. Die letzten Jahre haben einen starken Anstieg der Streikzahlen gebracht. Besondere Beachtung verdient der heroische Kampf der TextilarbeiterInnen in Mahalla. Das Erwachen des Proletariats ist einer der Hauptfaktoren zur Erklärung der gegenwärtigen Situation. Und darin liegt auch der Schlüssel zum Erfolg der Revolution in Ägypten.

Jüngste Berichte sprechen von großen Gruppen von ArbeiterInnen, die vor allem in Kairo gegen die vom Staat eingesetzten Manager aufbegehren und “Revolutionäre Komitees” gründen, um die Betriebe weiterzuführen. Unter anderem passiert dies im ägyptischen Staatsfernsehen und bei der größten Wochenzeitung des Landes, "Ros el-Yusuf."

Eine Streikwelle geht durchs Land, mit Fabrikbesetzungen und Sit-ins. Die Telekomangestellten in Kairo sind im Streik, und dieser Arbeitskampf weitet sich wie ein Flächenbrand auf andere Städte aus: Maadi, Opera, MisrElgedida, Ramsis und Alexandria. Die ArbeiterInnen protestieren dabei gegen Korruption und niedrige Löhne.

In der Stadt Suez, einem wirtschaftlichen Knotenpunkt, haben ArbeiterInnen eine Textilfabrik besetzt. Rund 1000 Arbeiter in der Zementfabrik von Lafarge sind im Streik. Zu ihren Forderungen zählen: das Recht sich gewerkschaftlich zu organisieren und Unterstützung für die Revolution. Die Arbeiter in der Zementfabrik Tora sind ebenfalls im Streik und kämpfen gegen die unhaltbaren Arbeitsbedingungen.

Gleichzeitig gibt es eine Bewegung die korrupten Führer der alten Gewerkschaften los zu werden, die nichts anderes als Agenten der Regimepartei und der Bosse sind. Der Vizepräsident der offiziellen Gewerkschaft ETUF soll sogar im Zuge einer Protestaktion von Mitgliedern seiner Gewerkschaft entführt worden sein. Die ArbeiterInnen fordern seinen Rücktritt und Untersuchungen bezüglich seiner Verwicklung in die korrupten Machenschaften der Gewerkschaft.

Das Center for Trade Union & Workers' Services (CTUWS) veröffentlichte ein Kommunique, indem ein Strafverfahren gegen Hussein Megawer, den Vorsitzenden der ETUF, und eine Offenlegung seines Vermögens gefordert wird.

Am 8. Februar marschierten die Uniprofessoren zum Tahrir Square, um sich der Revolution anzuschließen. Auch die Journalistengewerkschaft solidarisierte sich mit der Bewegung und begann mit einem Untersuchungsverfahren gegen den staatlich eingesetzten Vorsitzenden der Gewerkschaft Makram Mohamed Ahmed. Im Anschluss daran marschierten auch sie zum Tahrir Square. In allen staatlichen Zeitungen rebellieren die JournalistInnen gegen die regierungstreuen Herausgeber.

Die Eisenbahner in Bani Suweif sind ebenfalls in den Streik getreten. Zumindest in zwei Waffenfabriken in Welwyn wird gestreikt. Im öffentlichen Nahverkehr sind zumindest drei Garagen bestreikt. Tausende Erdölarbeiter protestieren vor dem Energieministerium, wobei sich der Protest im ganzen Sektor ausbreitet.

Viele der Streiks haben einen ökonomischen Charakter, viele nehmen jedoch auch schnell politische Züge an. In einem Interview mit Hossam El-Hamalawy vom 6. Februar konnten wir noch lesen:

"Seit zwei Tagen sagen die Arbeiter, dass sie nicht mehr zur Arbeit zurückkehren bevor nicht das Regime gestürzt wurde. Es gibt mehrere Zentren des ökonomischen Kampfes: das Stahlwerk in Suez, die Textilfabriken nahe Mansoura in Daqahlia (im Nildelta), wo die Streikenden die Geschäftsleitung vertrieben haben und den Betrieb nun selbst verwalten. Es gibt dann noch eine Druckerei im Süden Kairos mit dem Namen Dar al-Matabi: dort verwalten die Arbeiter mittlerweile ebenfalls selbst den Betrieb. Aber während die ArbeiterInnen an den Demos teilnehmen, haben sie bislang noch kaum unabhängige Aktionen als Klasse entwickelt. Die ArbeiterInnen haben sich noch nicht en masse unabhängig organisiert. Wenn es aber dazu kommt, dann wird sich das Kräfteverhältnis massiv verschieben."(http://mrzine.monthlyreview.org/2011/hamalawy080211.html)

Auf dem Tahrir Square treffen mittlerweile immer mehr Abordnungen von ArbeiterInnen ein, die ihre Solidarität mit der Bewegung bekunden und die Zukunft der Revolution diskutieren wollen.

Diese Berichte sind von enormer Bedeutung. Mit anderen Worten: Die Revolution hat die Fabriken und Betriebe erfasst. Das bedeutet, dass die ägyptischen ArbeiterInnen vom Kampf für Demokratie in der Gesellschaft zum Kampf um wirtschaftliche Demokratie am Arbeitsplatz schreiten. Das bedeutet, dass die ägyptische ArbeiterInnenklasse beginnt sich mit ihrem eigenen Banner an der Revolution zu beteiligen und für ihre eigenen Klassenforderungen zu kämpfen. Das ist der Faktor, der die Zukunft der Revolution entscheiden wird.

Damit steht auch die Idee eines Generalstreiks auf der Tagesordnung. Die Forderungen der ArbeiterInnen haben einen revolutionären Charakter und werden von einem Klassenstandpunkt aus vorgetragen. Die ArbeiterInnen ziehen in diesen Kämpfen extrem fortgeschrittene Schlussfolgerungen. Das zeigt sich anhand der Stellungnahme der Eisen- und Stahlarbeiter in Helwan, die zu einer Großdemo der ArbeiterInnen auf dem Tahrir Square aufrufen. Ihr Programm lautet wie folgt:

  1. Sofortiger Rücktritt von Mubarak und allen anderen Köpfen des Regimes.
  2. Enteignung des Vermögens und des Eigentums des Regimes und all jener, die sich als korrupt erwiesen haben.
  3. Sofortiger Austritt aller ArbeiterInnen aus den Gewerkschaften, die vom Regime kontrolliert werden. Für die Gründung unabhängiger Gewerkschaften und Vorbereitung eines Kongresses zur Wahl einer neuen Gewerkschaftsvertretung.
  4. Übernahme aller Unternehmen des öffentlichen Sektors, die verkauft oder geschlossen wurden, und Verstaatlichung derselben im Interesse der Bevölkerung. Diese Betriebe sollen eine neue Verwaltung unter Miteinbeziehung der ArbeiterInnen und des technischen Personals erhalten.
  5. Bildung von Komitees in allen Betrieben zur Kontrolle der Produktion, der Distribution, der Preise und Löhne.
  6. Für die Abhaltung einer Verfassungsgebenden Versammlung und die Wahl von Volksräten ohne die Verhandlungen mit dem ehemaligen Regime abzuwarten.

Was nun?

Diese Forderungen sind absolut korrekt. Sie zeugen von einem äußerst hohen Niveau revolutionären Bewusstseins und decken sich zu 100 Prozent mit dem Programm, das die MarxistInnen in dieser Situation vertreten. Das ist das Programm, mit dem die Revolution in Ägypten siegen kann.

Die unmittelbaren Forderungen sind natürlich demokratischer Natur. Doch der Kampf für demokratische Forderungen, wenn er konsequent geführt wird, muss direkt übergehen in einen Kampf um wirtschaftliche Demokratie. Die Armen kämpfen nicht für Demokratie, damit irgendwelche Oppositionspolitiker Ministerposten bekleiden können, sondern als ein Mittel um ihre dringlichsten Probleme lösen zu können: fehlende Jobs, Wohnungsnot, hohe Lebenserhaltungskosten usw. Diese ökonomischen und sozialen Probleme sind so tiefreichend, dass sie von keiner bürgerlichen Regierung gelöst werden können.

The Economist schreibt:

“Rund 40% der ägyptischen Bevölkerung leben noch immer von weniger als $2 pro Tag. In den vergangenen Jahren haben die Armen trotz Wirtschaftswachstum nur wenige Verbesserungen gespürt. Die Lebensmittelpreise steigen ständig, und es tobt ein harter Konkurrenzkampf um die viel zu wenigen Jobs, die soziale Sicherheit garantieren. Die ständigen Sorgen, die damit verbunden sind, haben nun einen Ausdruck gefunden in einer wachsenden Zahl an Streiks und lokalen Protesten im ganzen Land. Doch auf gewisse Art und Weise hat die andauernde Armut dazu beigetragen das Regime zu festigen. ‚Die Menschen kämpfen täglich ums Überleben’, sagt ein junger Rechtsanwalt aus Kairo, ‚Sie halten nicht lange durch ohne den täglichen Lohn und das tägliche Brot, deshalb können sie es sich nicht leisten groß Probleme zu machen.’“

Die gegenwärtige Bewegung kann nicht erfolgreich sein, wenn sie auf dem jetzigen Niveau verharrt. Einen qualitativen Sprung kann aber nur die ArbeiterInnenklasse bieten. Massendemonstrationen sind wichtig, weil sie dazu beitragen die sonst passive Masse auf die Beine zu bringen und ihr ein Gefühl von ihrer eigenen Kraft zu geben. Der nächste Schritt, der die Bewegung wirklich voranbringen würde, wäre aber die Ausrufung eines Generalstreiks.

In solch einer Situation würden Mubarak und Suleiman formal noch die Macht ausüben, sie würden noch im Präsidentschaftspalast sitzen, sie würden an der Spitze der Armee und der Polizei stehen. Doch sie hätten kein Telefon, keinen Strom, kein Benzin, kein Essen und Wasser. Unter diesen Bedingungen würde ein Generalstreik, der von Massendemonstrationen begleitet würde, zwangsläufig die Machtfrage stellen.

Ein Generalstreik in ganz Ägypten würde dem krisengeschüttelten Regime den Todesstoß versetzen. Die alte Staatsmacht würde aufbrechen und durch eine neue Macht ersetzt werden. Die ArbeiterInnen haben eine enorme Macht in ihren Händen, doch diese Macht muss organisiert werden. Das kann nur mittels revolutionärer Komitees passieren.

Hier stellt sich die zentrale Frage, jene des Staates. Das allgemeine Chaos und die Unordnung gehen vom Regime aus, das über den Geheimdienst versucht die Lage zu destabilisieren. So wird es von der Bevölkerung auch gesehen. Das hat zur Herausbildung von Bürgerwehren in vielen Teilen des Landes geführt.

Hossam el-Hamalawy beschrieb in dem oben bereits zitierten Interview wie diese Selbstverteidigungskomitees aufgebaut wurden: "Nach dem Kollaps der Polizeikräfte am 28. Jänner begannen die Menschen ihre Stadtviertel selbst zu beschützen. Es wurden Checkpoints errichtet, die Menschen bewaffneten sich mit Messern, Schwertern, Prügeln und kontrollieren Autos, die ankommen und wegfahren. In einigen Gebieten, wie in der Provinz Sharqiya, verwalten diese Volkskomitees mehr oder weniger die ganze Stadt und organisieren den Verkehr.“ Das ist der Embryo einer Volksmiliz – einer alternativen Staatsmacht.

Die letzten Berichte deuten darauf hin, dass Suleiman sogar einen Putsch in Erwägung zieht. Doch er steht vor dem Problem, dass die Armee in Wirklichkeit bereits gespalten ist. Unter den Bedingungen einer offenen Konfrontation mit der ArbeiterInnenklasse und den revolutionären Massen wäre der innere Zusammenhalt der Armee wohl kaum noch aufrechtzuerhalten. Sollte das Regime versuchen die Armee einzusetzen, dann könnte diese zerbrechen. Das ist die Ausgangslage für Suleiman, den neuen „starken Mann“ in Kairo.

Die alte Staatsmacht ist schwer angeschlagen. Jetzt muss ihr der endgültige Schlag versetzt werden. An seine Stelle muss eine neue Ordnung treten. Nur die ArbeiterInnenklasse kann einen Ausweg bieten, indem sie sich an die Spitze der Nation stellt. Die bereits bestehenden Komitees müssen auf alle Betriebe, Stadtviertel, Schulen und Unis ausgeweitet bzw. landesweit vernetzt werden.

Imperialistische Einschüchterungsversuche

Angesichts einer Revolution, die weiter vorwärts marschiert, wurden die Pläne des Imperialismus über den Haufen geworfen. Der Imperialismus glaubte die Lage bereits wieder unter Kontrolle zu haben, da brach plötzlich diese Streikwelle aus. Ahram Online berichtete gestern, dass die Beschäftigten der Suez Canal Company in Suez, Port Said und Ismailia einen unbefristeten Streik für höhere Löhne und bessere Arbeitsbedingungen ausgerufen haben. Das bedroht den Schiffsverkehr im Suezkanal, der von größter wirtschaftlicher Bedeutung ist.

Washington hat daraufhin Militär in Richtung Suezkanal entsandt. Das ist die harte Faust, die sich hinter Obamas Samthandschuh mit der Aufschrift “Demokratie” verbirgt. Der Imperialismus ist besorgt über die Auswirkungen der Revolution in Ägypten auf diesen wichtigen Transportweg, über den 40 Prozent des weltweiten Frachtwesens, das über die Weltmeere abgewickelt wird, verlaufen. Sollte der Suezkanal für längere Zeit blockiert werden, hätte das unvorstellbare Folgen für die Weltwirtschaft, weil Erdöllieferungen betroffen wären und dann auch der Erdölpreis weiter in die Höhe schießen würde.

In Wirklichkeit handelt es sich hier um eine leere Geste seitens der USA. Der US-Imperialismus hat sich erst im Irak die Finger verbrannt. Ein neues militärisches Abenteuer in Ägypten ist äußerst unwahrscheinlich, weil es in den USA und weltweit einen Sturm der Entrüstung auslösen würde. Keine einzige US-Botschaft würde dann noch im Nahen Osten stehen, und all den proamerikanischen Regimes in der arabischen Welt würde ein ähnliches Schicksal wie Ben Ali in Tunesien blühen. Trotzdem versuchen die USA die Bevölkerung in Ägypten einzuschüchtern. Diese Politik muss von der internationalen ArbeiterInnenbewegung mit aller Macht zurückgewiesen werden.

  • Hände weg von Ägypten!
  • Nieder mit dem Imperialismus!
  • Solidarität mit der Revolution in Ägypten!

Alle klassenbewussten ArbeiterInnen auf der Welt werden diese wunderbare Bewegung ihrer Brüder und Schwestern in Ägypten mit Begeisterung verfolgen. Wie auch immer diese revolutionäre Bewegung in den nächsten Tagen und Wochen weitergehen wird, Ägypten, der Nahe Osten und die ganze Welt werden nie mehr so sein wie vor dieser Revolution.

London, 9. Februar 2011

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Übersetzung: Der Funke (Österreich)